Akutmanagement der Hyperkaliämie

Kennt ihr das? Ihr möchtet einen Patienten aufgrund einer Hyperkaliämie auf die Intensivstation verkaufen und euer Kollege sagt nur: „Ja, ja – Gib schon mal den Standard!“ oder andersrum: ihr sitzt auf der Intensivstation und euer Kollege möchte einen hyperkaliämen Patienten an euch los werden. Nachdem ihr gerade eingewilligt habt den Patienten zu übernehmen hört ihr noch: „Den Standard hat er schon bekommen!“

Aber was zum Teufel ist der Standard? Gibt es einen Standard? Wenn ihr in eurem Haus eine hieb- und stichfeste SOP (Standard Operating Procedure) zu diesem Thema habt, könnt ihr aufhören zu lesen. Mit allen anderen möchten wir versuchen das Thema von der evidenzbasierten, pragmatischen Seite zu beleuchten. In Deutschland gibt es leider keine Leitlinie zur Hyperkaliämie, aber bei unseren Kollegen in England im NHS sieht das zum Glück anders aus. Auch das ERC hat einen Abschnitt zur Hyperkaliämie im Rahmen ihrer Guidelines. Mit dieser Grundlage und Verbesserungen aus der FOAM-Welt möchten wir unseren eigenen Algorithmus zur Therapie der Hyperkaliämie entwickeln.

Ihr wollt das Ganze lieber Hören? Hier der Podcast.

Grundlagen:

Physiologie

  • Kalium wird in den oberen Dünndarmabschnitten aufgenommen
  • 98% des Kaliums befinden sich intrazellulär
  • der physiologische Gegenspieler ist Natrium, das sich hauptsächlich extrazelluär befindet
  • Zusammen sind diese Elektrolyte essentiell für die Zellphysiologie, insbesondere für die elektrische Erregung der Zellen
  • Die Ausscheidung des Kaliums erfolgt hauptsächlich renal (90%)
  • hormonelle Steuerung der Kaliumverteilung durch:
    • Insulin (aus dem Pankreas),
    • Adrenalin (aus dem Nebennierenmark) und
    • Aldosteron (aus der Nebennierenrinde)

Definition

Die Hyperkaliämie ist leider nicht einheitlich definiert. Generell spricht man von einer Hyperkaliämie ab einem Kaliumspiegel von > 5 mmol/l. Allerdings sind wir bei 5,1 mmol/l (also wenn die Zahl im Labor rot wird oder diese kleinen Pfeile neben den Laborwerten erscheinen) noch etwas entfernt vom wirklich kritischen Bereich. Wo es wirklich kritisch wird, da streiten sich die Gelehrten noch etwas.

Lisa Einhorn führte 2009 eine interessante Studie zu diesem Thema durch: Sie schaute nach den Kaliumwerten von hyperkaliämen Patienten und der Wahrscheinlichkeit in den nächsten 24h zu versterben. Für Kalium-Werte zwischen 5,6 – 6 mmol/l lag die Odds Ratio bei 10. Ab Werten von über 6 mmol/l stieg sie sogar auf 31.

Um das mal kurz zu übersetzen: zwischen 5,6 – 6 mmol/l besteht ein um den Faktor 10 erhöhtes Risiko in den nächsten 24h zu versterben, verglichen mit normokaliämen Patienten. Ab > 6 mmol/l steigt das Risiko auf das 31fache.

Die ERC definiert folgende Stufen der Hyperkaliämie:

  • Mild: 5,5 – 5,9 mmol/l
  • Moderat: 6,0 – 6,4 mmol/l
  • Schwer: > 6,5 mmol/l

Symptome

Die Symptome der Hyperkaliämie sind leider sehr unspezifisch. Eine milde Hyperkaliämie (ca. 5-6 mmol/l) hat meist keine Symptome. Bei einer schweren Hyperkaliämie (> 6,5 mmol/l) können allg. Symptome wie:

  • Schwäche
  • Gefühlsstörungen
  • Lähmungen
  • Ileussymptome

auftreten. Das heißt leider auch, dass das erste Symptom der Tod sein kann.

EKG-Veränderungen

Die möglichen EKG Veränderungen sind divers:

Milde Hyperkaliämie > 5.5 mmol/l führt normalerweise zu Repolarisationsstörungen

  • Hohe T-Welle (die früheste EKG-Veränderung)

Schwere Hyperkaliämie > 6.5 mmol/l führt zu einer zunehmenden Lähmung des Vorhofs

  • Die P-Welle wird breiter und flacher
  • Die P-R Strecke wird länger
  • Die P-Welle kann vollständig verschwinden

Ab > 7.0 mmol/l kommt es zu Überleitungsstörungen und Bradykardien

  • jede Art des Schenkelblocks
  • verbreiterter QRS-Komplex (nicht schenkelblockartig)
  • höhergradige AV-Blockierungen evtl. mit Ersatzrhythmen
  • Sinusbradykardien oder langsames Vorhofflimmern
  • bizarre breite Rhythmen (im Periarrest)

Diese Veränderungen lassen sich super in Prüfungen abfragen und man sollte sie auch kennen, aber warnen uns diese Veränderungen ausreichend vor einem bevorstehenden Periarrest? Ihr könnt euch die Antwort wahrscheinlich schon denken: Die Sensitivität lässt zu wünschen übrig. Montague fand in seiner Veröffentlichung nur eine Sensitivität von 39%. Darüber hinaus hatten weniger als 50% der Patienten, die eine Arrest erlitten, vorher EKG-Veränderungen.

Außerdem muss gesagt sein, dass EKG-Veränderungen häufig nur bei akuten Hyperkaliämien auftreten. Chronische Hyperkaliämien, z.B. im Rahmen eines chronischen Nierenversagens, bieten uns oft keine oder nur dezente EKG Veränderungen.

Pseudohyperkaliämie

Was machen wir also als erstes wenn wir eine Hyperkaliämie bei einem symptomfreien Patienten sehen?

Das Labor wiederholen! – Dies sollte die Therapie möglichst nicht verzögern. Eine BGA ist eine einfache und schnelle Möglichkeit dies zu tun.

In den Zellen im Blut (und unser Blut besteht je nach Hämatokrit aus ca. 50% Zellen) ist genau wie in jeder anderen Körperzelle Kalium enthalten. Wenn diese Zellen durch physikalische oder chemische Reize geschädigt werden, tritt das Kalium aus den Zellen aus und erhöht den Kalium-Wert im Serum und somit unseren gemessenen Wert. Die wichtigsten Gründe sind:

  • zu starkes Vakuum beim Aspirieren
  • zu langes Stauen
  • zu lange Lagerung vor dem Zentrifugieren
  • Probenlagerung im Kühlschrank
  • zu großes Gewebstrauma bei der Abnahme (z.B. „Melken“ der kapillären BGA)
  • andere physikalische Einflüsse
    • Hitze
    • Schütteln
    • Luftblasen in der Blutprobe

Ätiologie der „echten“ Hyperkaliämie

Die Liste der Gründe für eine „echte“ Hyperkaliämie sind noch vielfältiger als die für eine Pseudohyperkaliämie. Um euch nicht mit endlosen Diagnoselisten zu langweilen gehen wir doch mal systematisch an die Sache ran: Wie oben schon gesagt: die Hauptregulation unseres Kaliumspiegels erfolgt über unsere Nieren, so dass eine akute oder chronische Niereninsuffizienz – egal ob prä-, intra- oder postrenaler Genese – einen der Hauptgründe für eine Hyperkaliämie darstellt. Auch medikamentöse Eingriffe in die Nierenfunktion sind eine mögliche Genese. Man denke hier hauptsächlich an die sogenannten „kaliumsparenden“ Diuretika wie: Spironolacton, Triamteren und Amilorid. Ein weiterer häufiger Grund für eine Kaliumüberladung ist ein pathologischer oder medikamentöser Eingriff in die hormonelle Regulationsachse:

  • ACE-Hemmer oder AT1-Antagonisten (nahezu jeder Patient über 60 hat eines davon)
  • Coma diabeticum
  • Nebennierenrindeninsuffizienz (Aldosteronmangel)
  • ß-Blocker (Eingriff im Bereich der Katecholamin-Achse; ebenfalls ein Medikament, welches sich auf nahezu jeder Medikamentenliste findet)

Aber nicht nur die Internisten sind schuld: Durch Gewebstraumata kann es ebenfalls zu relevanten Hyperkaliämien kommen, da durch die Zellschädigung das intrazelluläre Kalium nach extrazellulär gelangt. Zum Beispiel im Rahmen von:

Die Gefahr einer Hyperkaliämie im Rahmen eines Gewebstraumas potenziert sich dadurch noch, dass im Rahmen eines großen Muskeltraumas zusätzlich eine Crush-Niere entstehen kann und wir wieder unser Hauptregulationsorgan geschädigt haben.

Auch die Anästhesisten und Notfallmediziner greifen in den Kaliumhaushalt ein. Succinylcholin setzt aufgrund der Muskeldepolarisation eine beträchtliche Menge Kalium frei. Im Rahmen der Umverteilung kommt es zu einem Anstieg des Serum-Kaliums um 0,5 – 0,7 mmol/l. Dies ist neben seiner Eigenschaft als Triggersubstanz für die maligne Hyperthermie einer der Hauptgründe für eine ganze Reihe an Kontraindikationen und sein langsam aber sicheres Verschwinden aus der Anästhesie und Notfallmedizin.

Dies sind lediglich die häufigsten Gründe für eine Hyperkaliämie und wir wollen euch nicht weiter langweilen; für eine vollständige Liste schaut mal auf DocCheck. 😉

Therapie

Überwachungspflicht

Wie wir nun bereits gelernt haben sind die Symptome und die EKG-Veränderungen kein guter Prädiktor für die Mortalität der Patienten, da eine niedrige Sensitivität und Spezifität vorliegen. Daher müssen wir es tatsächlich von den gemessenen (und überprüften) Laborwerten abhängig machen.

Die Kollegen aus Enland sehen erst ab einem Kalium von 6,5 mmol/l ohne EKG-Veränderungen bzw. ab 6,0 mmol/l mit EKG-Veränderungen eine Aufnahmepflicht. Wir denken, dass diese Werte nicht auf den deutschsprachigen Raum übertragbar sind. Eine Odds Ratio von 31 für Tod ist in Deutschland sicherlich kein akzeptiertes Risiko für eine ambulante Therapie.

Aus unserer Sicht ergibt sich daher in Deutschland ab Werten von 5,5 mmol/l eine Überwachungs- und auch Monitorpflicht.

Mit Werten zwischen 5,1 mmol/l und 5,5 mmol/l müssen wir euch leider etwas alleine lassen. Wir haben versucht, euch die wichtigsten Fragen, die ihr euch stellen müsst zusammenzutragen:

  • Ist der Patient dialysepflichtig (dann sind höhere Werte zu tolerien)?
  • Welche Genese hat die Hyperkaliämie?
  • Über welchen Zeitraum hat sich die Hyperkaliämie entwickelt?
  • Wie ist die verbleibende Nierenfunktion?
  • Liegen passende Symptome oder EKG-Veränderungen vor? (unwahrscheinlich)
  • Wie zuverlässig ist die Weiterversorgung sicherzustellen?
  • Wie sieht die häusliche Situation des Patienten aus?

Membranstabilisierung

Calcium

Calcium antagonisiert den Effekt des extrazellulären Kaliums und verhindert die Gefahr einer Depolarisation aufgrund der verringerten Reizschwelle. Es wirkt – (wait for it) – membranstabilisierend.

Es hat also KEINEN Effekt auf die Kaliumkonzentration im Serum.

Dosis? Jetzt wirds etwas tricky – es gibt intravenöses Calcium in zwei verschiedenen Darreichungsformen:

  • Calciumglukonat
  • Calciumchlorid

Beide Formen werden als 10% Lösungen angeboten. 10 ml der jeweiligen Lösung enthalten somit 1g der jeweiligen Substanz. Leider ist aber Glukonat viel schwerer als Chlorid, so dass in 1g Calciumchlorid 3x so viel Calcium steckt wie in 1g Calciumglukonat.

Aber wie viel müssen wir davon jetzt geben?

Das ERC empfiehlt 10 ml Calciumchlorid was 30 ml Calciumglukonat entspricht.

Der Wirkeintritt ist netterweise nach 1-3.min. Die Wirkdauer beträgt 30-60min.

Ab wann eine Calcium-Gabe erfolgen sollte ist derzeit strittig, aber NHS und ERC sind sich mit dünner Evidenzlage einig, dass eine Calcium-Gabe erst bei einer Hyperkaliämie mit einhergehenden EKG-Veränderungen erfolgen sollte (einige Autoren zählen hohe T-Wellen nicht als EKG-Veränderungen, wieder andere Autoren empfehlen die einmalige Gabe schon ohne EKG-Veränderungen).

Wenn EKG-Veränderungen vorliegen kontrollieren wir das EKG 5 min nach der Calcium-Gabe, wenn immer noch EKG-Veränderungen vorhanden sind, wiederholen wir die Calciumgabe. Dieses Vorgehen läuft jetzt parallel zu unseren weiteren Maßnahmen, bis die EKG-Veränderungen verschwunden sind und die Membran stabilisiert ist. 😉

CAVE: bei Calcium gibt es dankenswerter Weise nicht allzu viel zu beachten. Es ist venenreizend und sollte über einen gut laufenden Zugang appliziert werden. Außerdem lohnt es sich, einen kurzen Blick auf die Dauermedikationsliste des Patienten zu werfen. Wenn hier ein Digitalis-Präparat vermerkt ist, ist vorsicht geboten. Digitalis greift (stark vereinfacht gesprochen) in die Natrium-/Calcium-Homöostase am Herzen ein. Die intravenöse Calciumgabe kann daher den toxischen Effekt des Herzglykosids verstärken. In diesem Fall sollte das Calcium möglichst langsam als Kurzinfusion (über 20min) appliziert werden.

Kalium-Shift

Katecholamine

Zeitgleich zur Membranstabilisierung müssen wir uns überlegen, ob der Patient hämodynamisch stabil ist oder nicht. Bei hämodynamischer Instabilität brauchen wir Katecholamine. Nur greifen wir in diesem Fall nicht zu unserem geliebten Noradrenalin, sondern zum großen Bruder dem Adrenalin. Ihr fragt euch Warum? Hier zwei Argument für Adrenalin:

  1. Der Arrest im Rahmen einer Hyperkaliämie tritt meist über bradykarde Rhythmen auf. Noradrenalin wirkt größtenteils über Alpha-Rezeptoren (nur ca. 10% Beta- sympathomimtische Wirkung). Aus diesem Grund hat Noradrenalin eher einen zusätzlichen bradykardisierenden Effekt. Adrenalin wirkt gleichermaßen auf Alpha- und Beta-Rezeptoren und somit dem Kalium-Effekt endgegen.
  2. Im Falle der Hyperkaliämie hilft es uns zusätzlich auf zwei Wegen in die oben beschriebene hormonelle Regulation des Kaliumhaushaltes einzugreifen und diesen in unserem Sinne zu beeinflussen (Dabar et al.):
    • ß2-Sympathomimetika fördern die endogene Ausschüttung von Insulin. Insulin seinerseits bringt Kalium von extra- nach intrazellulär, wo es schließlich hin gehört.
    • ß2-Sympathomimetika stimulieren die Ausschüttung von Renin und damit die Kaliumausscheidung über die Niere

Inhalative ß2-Sympathomimetika

Zu Deutsch: Salbutamol. Ihr denkt jetzt sicher: „Ist das Zeug nicht für die Bronchien da?“. Richtig – es ist auch oder meistens für die Bronchien da. Im Rahmen der Hyperkaliämie hilft es uns über die beim Adrenalin beschriebenen ß2-sympahtomimetischen Effekte, wenn wir die kreislaufstabilisierende Wirkung des Adrenalins nicht benötigen.

Damit wir einen ausreichenden Effekt erreichen, brauchen wir aber wie so häufig eine adäquate Dosis. Diese liegt bei 10-20mg. Die übliche Dosierung im Rahmen eines obstruktiven Notfalls beträgt 2,5mg. Wir reden hier also über das 4-8 fache der üblichen Dosis. Die Pulmologen fangen an, die Hände über dem Kopf zusammen zu schlagen. Besonders im Rahmen einer symptomatischen Hyperkaliämie würden wir persönlich eher zur 8-fachen Dosis tendieren. Wir müssen hoffentlich nicht betonen, dass diese Patienten aus mehreren Gründen an ein kontinuierliches Monitoring gehören. Einen Wirkeintritt können wir nach 15-30 min erwarten. Die Wirkdauer beträgt ca. 2-4h. Der Effekt ist eine Kaliumsenkung von ca 1 mmol/l.

Alternative: Sollte eine inhalative Therapie nicht toleriert werden, konnten Sowinski et al. zeigen das Terbutalin subcutan in einer Dosierung von 7 mcg/kg Körpergewicht eine darstellt. Dieses senkt ebenfalls den Serum-Kaliumspiegel um ca. 1mmol/l.

Cave: Eine Kombination der sympathomimtischen Medikamente (Salbutamol/Terbutalin/Adrenalin) erscheint aus pharmakologischen Überlegungen nicht sinnvoll, da mit einer Aggravierung der Nebenwirkungen (hauptsächlich Tachykardie) zu rechnen ist, ohne dass eine wesentliche Steigerung des Kalium-Shifts zu erwarten wäre.

Insulin / Glukose

Endlich. Darauf haben doch alle gewartet. Einer der ältesten Taschenspielertricks der Intensiv- und Notfallmediziner. Insulin schleust Glukose in die Zelle und nimmt praktischerweise unser Problemelektrolyt gleich mit. Wir haben also einen Kalium-Shift nach intrazellulär. Soweit hat das jeder schon mal gehört, aber wie dosieren wir das Ganze?

Die NHS Guideline sagt: 10 IE + 50ml G50 (entspricht 25g Glukose)

Evidenz für dieses Konzept? Fehlanzeige! Wir haben es halt immer so gemacht. Leider hat dieses Konzept auch seine Schattenseiten. In mehreren Studien und Reviews zeigten sich Hypoglykämieraten von 15-20% im Rahmen einer Insulingabe zur Therapie einer Hypoglykämie (Apel et al;Coca et al; Jakob et al;Harzel et al;Pierce et al). LaRue et al wies bei niereninsuffizienten Patienten hingegen nach, dass es völlig egal ist, ob wir 10 IE oder 5 IE Insulin verabreichen. Beides senkt die Serum-Kalium um ca. 1 mmol/l. Die Häufigkeit der Hypoglykämien war in der 10 IE Gruppe allerdings höher. Daher plädieren wir für eine Gabe von 5 IE Insulin. Bei einem Wirkeintritt von 15-30 min und einem Wirkmaximum von 30-60 min kann bei einer ungenügenden Senkung immer noch eine erneute Gabe erfolgen. Dieses Vorgehen empfiehlt sich insbesondere bei niereninsuffizienten Patienten, da die Niere sowohl am Abbau des Insulins beteiligt ist, als auch an der Glukoneogenese. Die Glukoneogenese ist eine der Rückfallebenen im Rahmen einer Hypoglykämie. Kurz gesagt: Das Insulin wirkt länger und die Gegenregulation ist gestört.

Aus pathophysiologischen Überlegungen können bei Typ II Diabetikern deutlich höhere Insulin-Dosen notwendig werden (periphere Insulinresistenz). Leider gibt es hierzu keine belastbaren Daten, obwohl eine Hyperkaliämie im Rahmen einer diabetischen Nephropathie durchaus wahrscheinlich erscheint.

Was ist mit der Glukose? Zunächst einmal zeigt sich hier das alte „Naloxon-Problem“. Nur weil zwei Medikamente entgegengesetzt wirken, haben sie noch lange nicht die gleiche HWZ. Insulin wirkt bei intakter Nierenfunktion ca. 2h, während die Wirkung von Glukose nur ca. 1h hält. Was passiert also? Wir verabreichen die Medikamte, das Kalium fällt und wir fühlen uns gut. Aber nach 1,5h, wenn wir uns schon mit einem anderen Patienten oder einem köstlichen Heißgetränk beschäftigen, klingelt unser Telefon: „Herr XY ist unterzuckert!“. Und dieses Szenario setzt noch eine aufmerksame Pflegekraft voraus. Die Lösung des Problems sind zwei einfache Maßnahmen:

  1. Wir geben die Glukose als Infusion über ca. 30 – 45 min
  2. Wir messen regelmäßig den BZ um ggf. gegenzusteuern

Zu 1.: Bitte fangt jetzt nicht mit G5- oder G10-Lösungen an! Die Glukosekonzentration ist (extrem) gering. Das bisschen enthaltene Glukose wird verstoffwechselt und wir haben eine Unmenge an freiem Wasser infundiert. Dieses führt zu einer völligen Dekompensation des Wasser-Elektrolyt-Haushaltes und/oder zu einem Hirnödem, um nur die häufigste und die gefährlichste Nebenwirkung zu nennen. Das heißt, wir brauchen höher dosierte Glukose mit weniger freiem Wasser. In deutschen Krankenhäusern reden wir hier über 40% Glukose – kurz G40. Das Problem ist, dass G40 leider sehr venenreizend ist und im Falle von Paravasten zur Nekrosebildung führt – eine unglückliche Kombination (nicht umsonst können Varizen mit Glukose-Lösung behandelt werden). Wir müssen das Zeug also verdünnen. Unser persönliches Hausrezept sieht 500ml Vollelektrolytlösung mit der entsprechenden Menge an G40. Diese Lösung lässt sich super über einen peripheren Zugang ohne die Gefahr der Nekrosebildung verabreichen und enthält gleichzeitig die wichtigsten Elektrolyte.

Aber wie viel Glukose benutzen wir? Das NHS empfiehlt 50 ml einer G50-Lösung. Das macht nach Adam-Riese 25 g Glukose, welches auch der ERC-Empfehlung entspricht. Alle zuvor zitierten Studien(Apel et al;Coca et al; Jakob et al;Harzel et al;Pierce et al) konnten jedoch nachweisen, dass die Gefahr einer Hypoglykämie mit einem niedrigeren Ausgangsblutzuckerspiegel steigt (oh Wunder). Daher halten wir eine „One-Fits-All“ Lösung für nicht zielführend, zumal der Blutzucker ein so einfach zu erhebender Parameter ist. Die Kollegen von FOAMcast bieten uns hier eine etwas differenziertere Vorgehensweise. Sie empfehlen 50 g Glukose bei BZ-Werten unter 100 mg/dl, 25 g bei Werten zwischen 100-200 mg/dl und keine Glukose bei Werten oberhalb von 200 mg/dl. Da sich 25 und 50 g nur zu schlecht durch 4 teilen lassen (was bei dem in Deutschland üblichen G40 notwendig wäre), haben wir das ganze etwas angepasst.

Blutzuckerspiegel mg/dl (mmol/l)Glukose gAmpullen G40
> 200 (>11,1)keine0
100-200 (5,6-11,1)246
< 100 (< 5,6)48 12

Um das Hypoglykämie-Risiko noch weiter zu reduzieren, empfiehlt das NHS, das Insulin nicht als Bolus sondern gemeinsam mit Glukose als Infusion über 30 min zu verabreichen.

Zu 2.: Leider gibt es keine evidenzbasierten Schemata. Aus pathophysiologischen Überlegungen basierend auf der Wirkdauer der Medikamente empfehlen wir eine 30 minütige Messung für 3h. Im Anschluss sollte sich das Hypoglykämierisiko wieder normalisiert haben.

CAVE: Mit Hilfe von ß2-Sympathomimetika und Insulin könnt ihr sehr elegant einen Kalium-Shift in die Zellen hervorrufen. Diese Maßnahmen halten ca. 4-5 Stunden an und ihr könnt eure Schicht überstehen. Allerdings lässt sich das geshiftete Kalium auch die nächsten 4-5h nicht dialysieren. Wenn die Dialyse also eh in 1h geplant ist, solltet ihr das Ganze kritisch überdenken.

Kaliumelemination

Mit den drei oben genannten Maßnahmen haben wir uns also ein wenig Zeit verschafft. Wir haben Membranen stabilisiert und Kalium in Zellen geshiftet, aber jetzt muss es leider noch raus aus unserem Patienten.

Wie oben schon erwähnt, ist die Niere für die Regulation unseres Kaliumhaushaltes verantwortlich. So lange die Niere funktioniert, sollte wir diesen natürlichen Weg auch nutzen. Die Option der Kaliurese wird vom NHS und ERC in ihren Leitlinien leider komplett ignoriert. Aber erstmal müssen wir evaluieren, ob unser Patient eine erhaltende Nierenfunktion mit einer Diurese besitzt. Am einfachsten ist dies möglich, indem wir ihn fragen. Ist bei dem Patienten bereits eine terminale Niereninsuffizienz bekannt, bleibt uns nichts anderes als unsere Kollegen aus der Nephrologie zu kontaktieren und die Dialyse (Hierzu ein Podcast von uns) aufzubauen. Wenn allerdings keine terminale Niereninsuffizienz vorliegt haben wir noch einige Möglichkeiten:

Zunächst einmal müssen wir allerdings den Volumenstatus des Patienten evaluieren. Am einfachsten geht dies mittels #POCUS und körperlicher Untersuchung. In diesem Rahmen können wir gleich einen Harnstau und somit ein postrenales Nierenversagen ausschließen. Falls tatsächlich ein Harnstau vorliegt, müssen wir diesen mittels Dauerkatheter ableiten und können die Urologen anrufen.

Volumendefizit

Sollte sich ein Volumendefizit zeigen, egal ob mit oder ohne prärenales Nierenversagen, braucht der Patient Volumen. Generationen von Medizinern würden jetzt zum 0,9% NaCl greifen. Ihr lasst da aber bitte die Finger von. Das Problem an 0,9% NaCl ist, dass es zu einer hyperchloriämischen Azidose führt. Im Rahmen der Azidose kommt es eher zu einer Verschlimmerung der Hyperkaliämie als zu einer Verbesserung. Dies geht sogar mit einer nachweislichen Erhöhung der Mortalität einher. Wer in dieses spannende Thema tiefer einsteigen will, sei an den hervorragenden Artikel von dasFOAM verwiesen.

Was nutzen wir also? Das, was euch eure Klinik an Vollelektrolytlösung zur Verfügung stellt (Ringer-Lactat, Sterofundin, Jonosteril usw.). Die enthaltenden 4-5 mmol/l Kalium führen selbst im Nierenversagen zu keinem relevanten Kaliumanstieg und wir umgehen das Problem der Azidose.

Volumenüberladung

Im Falle einer Hypervolämie kommt unser Lieblingsdiuretikum Furosemid zum Einsatz. Dieses ist ja bekanntermaßen KEIN kaliumsparendes Diuretikum und es führt über die Blockade des Na+/K+/2Cl- Kotransporters zu einem Kaliumverlust. Ergänzend sei erwähnt, dass Furosemid optimalerweise als Dauerinfusion oder bolusweise alle 12h verabreicht werden sollte. Eine 1x tägliche Gabe macht aus pharmakologischen Gesichtspunkten keinen Sinn und führt eher zu einer reflektorischen Wasserretention.

Im Falle einer lebensbedrohlichen Hyperkaliämie ist es sinnvoll den Effekt durch die zusätzliche Gabe weiterer Diuretika zu maximieren. Hier bietet sich aus pharmakologischen Überlegungen zum einen ein Carboanhydrase-Hemmer an (z.B. Acetazolamid) zum anderen ein Thiazid (da es kein intravenöses Thiazid auf dem deutschen Markt gibt, müssen wir leider auf orales zurückgreifen). Carboanhydrase-Hemmer haben (abseits der Glaukom-Therapie) kaum einen Stellenwert, daher wäre Thiazid sicherlich die erste Option.

Therapieoptionen mit eingeschränkter Evidenz

Bikarbonat

Ja, ABER….. Aus mehreren theoretischen Überlegungen (Transzelluläre Verschiebung in den Skelettmuskel/renale Exkretion/Verdünnung) heraus ist Bikarbonat in der Lage unsere Kaliumkonzentration zu senken. Leider ist es wie so häufig nicht so einfach.

  1. Bikarbonat ist ineffektiv wenn keine Azidose vorliegt (Blumberg et al.; Allon und Shanklin)
  2. hypertones Bikarbonat scheint ineffektiv zu sein (Blumberg et al.; Gutierrez et al.; Farley und Adler)

Zu. 1.: Der Grund hierfür scheint am ehesten auf der pH-abhängigen Regulation der Kalium-Kanäle zu beruhen.

Zu 2.: Hierfür könnte am ehesten ein sogenannter Solvent-Drag verantwortlich sein. D.h. die Applikation einer hypertonen Lösung führt zu einer Verringerung des intrazellulären Volumens. Dies führt zunächst zu einem intrazellulären Anstieg der Kalium-Konzentration, was im Rahmen des Konzentrationsausgleichs zu einem Anstieg des extrazellulären Kaliums führt.

Abschließend muss man leider sagen, dass die Evidenzlage zu Bikarbonat sehr sehr dünn ist. Anhand der vorliegenden Daten kann man vorsichtig folgende Schlussfolgerung ziehen: Isotones Bikarbonat scheint bei Patienten mit metabolischer Azidose nützlich zu sein. Da mit isotonem Bikarbonat sehr große Volumina nötig sind um eine Azidose auszugleichen (ca. 1-2 l), kommen nur iso- oder hypovoläme Patienten ohne eingeschränkte kardiale Pumpfunktion Pumpfunktion für diese Therapie in Frage. Der ideale Patient für Bikarbonat zur Therapie einer Hyperkaliämie ist also Ahoi Brause (sauer und trocken). Wer tiefer in diese Thematik einsteigen will, sei an den dasFOAM Arktikel verwiesen.

Die Dosierung für isotones Bikarbonat lässt sich wie folgt ermitteln:

-BE * KG (in kg) / 3 = mmol der Puffersubstanz

Das Ergebnis teilen durch 150mmol/l der isotonen Bikarbonatlösung. Also:

(-BE * KG (in kg) / 3)/150mmol/l = Dosis des isotonen Bikarbonat in Liter

Wer es etwas einfacher mag hier der Link zu MDcalc.

Polystyrolsulfonat

Resonium, CPS-Pulver oder wie auch immer es bei euch heißt. Polystyrolsulfonate sind sogenannte Kationenaustauscher, welche die intestinale Kaliumaufnahme verhindern. Das heißt, sie senken nicht den aktuellen Kaliumspiegel, sondern verhindern lediglich die Aufnahme. Ein Wirkeintritt (im Sinne eines Abfalls des Kaliumspiegels) ist somit frühestens nach 9h zu erwarten. Aus diesen Überlegungen ist die Polystyrolsulfonatgabe allerhöchstens im Rahmen einer milden Hyperkaliämie sinnvoll. Im Rahmen der durchgeführten Studien streng genommen auch nur bei Patienten mit eingeschränkter Nierenfunktion. Also bei Patienten, bei denen die natürliche Regulation des Kaliumhaushaltes über die Nieren gestört ist. Bei allen anderen ist ein kaliumarme Diät und das Absetzen der auslösenden Substanzen zu bevorzugen. (Kamel und Schreiber; Lepage et al.) Neben der ungenügenden Wirkung von Polystyrolsulfonaten, bieten sie eine ganze Reihe an unangenehmer und z.T. gefährlicher Nebenwirkungen wie: Obstpationen bis hin zum Ileus (weshalb sie eigentlich immer mit Macrogol (z.B. Movicol) kombiniert werden muss), Darmulcera und Darmnekrosen. In der morderaten und schweren Hyperkaliämie spielen Polystyrolsulfonate keine Rolle.

Algorithmus

Co-Autoren

Timo Höntsch

Carsten Stoetzer

Sebastian Käbler

Caroline Doll

Links und andere FOAM Quellen zum Thema

Guideline for the Management of Acute Hyperkalaemia in Adults – NHS

European Resuscitation Council Guidelines for Resuscitation 2015: Section 4. Cardiac arrest in special circumstances

Emergent Treatment of Hyperkalemia – Insulin/Dextrose – FOAMcast

Foamina

dasFOAM – Hyperkaliämie und NaCl

dasFOAM – Therapie der schweren Hyperkaliämie in der post-Polystyrolsulfonat-Ära

The Curbsiders – Hyperkalemia Masterclass

Pulmcrit – Management of severe hyperkalemia in the post-Kayexalate era

Life in the Fastline – Hyperkaliämie

Referenzen

Einhorn, Lisa M., et al. „The frequency of hyperkalemia and its significance in chronic kidney disease.“ Archives of internal medicine 169.12 (2009): 1156-1162.

Montague, Brian T., Jason R. Ouellette, and Gregory K. Buller. „Retrospective review of the frequency of ECG changes in hyperkalemia.“ Clinical Journal of the American Society of Nephrology 3.2 (2008): 324-330.

Birch, Alexander A., et al. „Changes in serum potassium response to succinylcholine following trauma.“ JAMA 210.3 (1969): 490-493.

Scott, Nathaniel L., et al. „Hypoglycemia as a complication of intravenous insulin to treat hyperkalemia in the emergency department.“ The American journal of emergency medicine 37.2 (2019): 209-213.

LaRue, Heather A., Gary Daniel Peksa, and Shital C. Shah. „A comparison of insulin doses for the treatment of hyperkalemia in patients with renal insufficiency.“ Pharmacotherapy: The Journal of Human Pharmacology and Drug Therapy 37.12 (2017): 1516-1522.

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