Rechtsmedizin Teil II – Klinische Rechtsmedizin

Wenn man über Rechtsmedizin spricht, dann denkt man immer an tote Körper und das Sezieren. Doch das ist bei weitem nicht alles, was die Rechtsmedizin zu bieten hat. In diesem Artikel möchten wir für Euch die Aspekte der klinischen Rechtsmedizin beschreiben und die relevanten Eigenschaften der rechtsmedizinischen Untersuchung herausstellen. Besonders im Notarztdienst und in der Notaufnahme ist ein*e Rechtmediziner*in nicht immer in adäquater Zeit verfügbar. Durch die Kenntnis dieser Aspekte möchten wir euch ermöglichen durch ein besseres Verständnis und eine bessere Dokumentation die spätere Strafverfolgung zu erleichtern.

Überblick über die Themengebiete der rechtsmedizinischen Untersuchung: 

  • Was unterscheidet sie von einer körperlichen Untersuchung in der Klinik?
  • Wann kommt sie zum Einsatz? (wer beauftragt, welche Anlässe finden sich häufig)
  • Verschiedene Formen der Gewalt (ein grober Überblick)

Das Ziel der rechtsmedizinischen Untersuchung ist es eine Einschätzung über Art und Schwere der Verletzung zu treffen, häufig mit der genauen Fragestellung, ob eine akute oder potentielle Lebensgefahr bestanden hat. Je nach Fragestellung ist auch die Frage nach der Entstehung der vorliegenden Verletzung zu beantworten bzw. unterschiedliche mögliche Geschehensabläufe hinsichtlich ihrer Plausibilität zu beurteilen.

Zu einer rechtsmedizinischen Untersuchung gehört eine ausführliche Inspektion der betreffenden Person, auch an Stellen, an denen zunächst keine Verletzungen vermutet oder erwartet werden. 

Hierzu möchten wir Euch ein Beispiel einer Frau, die Opfer häuslicher Gewalt wurde, nennen. Ihren Schilderungen nach, hätte man ausschließlich Verletzungen an den Extremitäten erwarten können. Da die rechtsmedizinische Untersuchung aber eine vollständige Untersuchung aller Körperregionen beinhaltet, wurde die Patientin gebeten, dass man sich – obwohl Sie selbst angab, dass dort keine Verletzungen zu sehen sein werden – auch den Rumpf inklusive Rücken ansehen darf. Es zeigte sich, dass ihr kompletter Rücken voller Hämatome war. Die Patientin war sich nicht bewusst über diese Verletzungen, da man – logischerweise – den eigenen Rücken nicht ohne Hilfsmittel anschauen kann.

Deshalb ist es wichtig, die Untersuchung nicht nur auf die Schilderungen der betroffenen Person zu beschränken, sondern überall genau nachzuschauen. Hierzu gehören explizit auch die behaarte Kopfhaut oder der Bereich hinter den Ohren, bzw. die Rückseiten der Ohrmuscheln.

Während der Untersuchung ist es ratsam Fotos der Verletzungen zu machen, zum einen, um nachher bei der Erstellung des Gutachtens nochmal nachschauen zu können. Zum anderen gehört die korrekte fotografische Dokumentation zu einer gerichtsverwertbaren Dokumentation dazu. 

Stichwort Fotos – was gilt es dabei zu beachten?

Grundsätzlich ist es egal wer die Fotos macht und es ist auch prinzipiell möglich, die Fotos mit dem eigenen Handy zu machen, dies ist aber aus Datenschutzgründen nicht unbedingt zu empfehlen, diese sensiblen Daten auf dem privaten Handy zu speichern. 

  1. Für ausreichende Beleuchtung sorgen. Tageslicht ist natürlich optimal, aber nicht immer verfügbar. Es sollte dann zumindest die volle Deckenbeleuchtung genutzt werden, um nicht im halbdunkel zu fotografieren. ACHTUNG: Blitz kann hilfreich sein, kann aber auch zu Überbelichtung führen. Bei den meisten Digitalkameras kann man ja gleich nachschauen, ob die Aufnahme was geworden ist. Es ist sinnvoll zu testen unter welchen Bedingungen das beste Bild entsteht und ob die Verwendung des Blitzes sich positiv auswirkt, damit die Aufnahme dem Original so gerecht wie möglich wird. Besonders bei großen Hämatomen kann die Belichtung große Unterschiede machen! 
  2. Stellt Euch vor, dass ihr Fotos für eine dritte Person macht, die die Verletzungen nicht selbst in Augenschein nehmen konnte. Es ist daher ratsam, eine Übersichtsaufnahme zu machen, um die Lokalisation zu verdeutlichen und dann eine Detailaufnahme der Verletzung, um bestimmte Charakteristika erkennen zu können. Oft hat man im Nachhinein nur wenig Chancen anhand eines Bildes, das lediglich einen winzigen Ausschnitt mit der Pathologie zeigt – zum Beispiel bei einem Hämatom am Unterarm, wo nur das Hämatom und etwas Haut aufgenommen wurde – herauszufinden, an welcher Körperstelle sich das Hämatom genau befindet.
  3. Weiterhin ist ein Maßstab wichtig, um später die Größe der Verletzung bestimmen zu können. Es ist dabei egal, ob ihr einen Winkelmaßstab, einen Maßstab zum aufkleben oder ein einfaches Lineal daneben haltet, es genügt im Notfall, wenn man einen Gegenstand, dessen Größe bekannt ist, etwa ein 2 Euro Stück, daneben zu legen.
  4. Die Aufnahme sollte orthogonal erfolgen, wenn man nicht genau von oben auf die Verletzungen fotografiert, kann es je nach Aufnahmewinkel zu Verzerrungen kommen, was die spätere Beurteilung beeinflussen kann. 

Hier ein wichtiger Hinweis an die klinisch tätigen Kolleg*innen: Für die rechtsmedizinische Einschätzung einer Wunde ist die versorgte Wunde deutlich schwieriger zu beurteilen als die unversorgte, weshalb Rechtsmediziner*innen sich immer über eine gute Fotodokumentation der unversorgten Wunde und über eine genaue Verletzungsbeschreibung freuen. 

Hierzu haben wir Euch ein kleines Beispiel mitgebracht: 

Im Kurzarztbrief steht „Hämatom am Arm“.

Wie könnte man diese Angaben noch präzisieren?

  • Rechts/links
  • Oberarm oder Unterarm
  • Innen-/Außen-
  • Streck-/Beugeseitig
  • Farbe
  • besondere Form
  • Größe?

Ihr seht also, dass man mit dieser Info wenig anfangen kann. Stellt euch vor, ihr wolltet die Verletzung einer Kollegin/einem Kollegen beschreiben, es muss kein Roman werden, aber stichpunktartig Ort, ungefähre Größe und Art der Verletzung (s.u.) sind schon sehr hilfreich.

Einen Exkurs zu den rechtlichen Grundlagen von Fotos in der Medizin findet ihr am Ende des Artikels.

Wann werden Rechtsmediziner*innen denn hinzu gerufen, bzw. wer beauftragt Rechtsmediziner*innen?

In aller Regel werden Rechtsmediziner*innen vor allem von der Staatsanwaltschaft oder der Polizei beauftragt. Dies kann aber von Institut zu Institut variieren. Etwa wenn eine Auseinandersetzung mit einem Messer stattgefunden hat, und sich in diesem Zusammenhang eine Person im Krankenhaus befindet und eine andere Person bei der Polizei zur Anhörung. Rechtsmediziner*innen, lassen sich dann schildern was vorgefallen ist (natürlich mit Fokus auf den Vorfall, die ausführliche Aussage ist Sache der Ermittlungsbeamt*innen), untersuchen die Beteiligten, führen auch eine Fotodokumentation durch und verfassen später ein Gutachten, in dem sie sich zu den Verletzungen äußern. Es wird beschrieben welche Verletzungen vorlagen, ob diese zum geschilderten Ablauf passen (es kommt durchaus mal vor, dass Beschuldigte bzw. Geschädigte unterschiedliche Angaben machen und man anhand des Verletzungsbildes diese Aussagen einordnen kann) und wie schon erwähnt, ob eine akute bzw. potentielle Lebensgefahr vorlag.

Außerdem können auch Aufträge durch das Jugendamt, etwa bei Inobhutnahmen, erfolgen. Hier soll dann in aller Regel gutachterlich geklärt werden, ob die Kinder relevante Verletzungen haben oder auch Zeichen von Vernachlässigung aufweisen. In diesen Fällen wird, je nach Institut, eng mit der Pädiatrie zusammen gearbeitet. In Deutschlang gibt es mittlerweile an vielen Orten sogenannte Kinderschutzgruppen. Es handelt sich hierbei um multiprofessionelle Teams, die bei Verdacht auf Kinderschutz-relevante Fälle tätig werden. Es geht hier vor allem darum, dass zum einen Kinder nicht unnötig oft untersucht und unter Umständen dadurch retraumatisiert werden, es soll zum anderen aber auch ein koordiniertes Vorgehen sichergestellt werden, damit wichtige Befunde und Beobachtungen nicht verloren gehen, erforderliche Untersuchungen durchgeführt werden und, was ganz wichtig ist, mit den Eltern das Gespräch gesucht wird. Das aber nur grob umrissen, denn zu dem wichtigen Thema Kinderschutz, werden wir noch einmal einen gesonderten Artikel für Euch erstellen.

Falls ihr Euch dennoch schon jetzt für das Thema Kinderschutz interessiert und Euch weiter informieren wollt, können wir Euch die DGKim, die Deutsche Gesellschaft für Kinderschutz in der Medizin ans Herz legen. Hier findet man reichlich Infos, auch zu Kinderschutzgruppen. https://www.dgkim.de/

In vielen Orten bzw. rechtsmedizinischen Instituten gibt es zudem noch niedrigschwellige Untersuchungsangebote wie die vertrauliche Spurensicherung oder klinisch-forensische Ambulanzen.

Begriffserläuterung – Vertrauliche Spurensicherung – 

Vielen Betroffenen von sexualisierter Gewalt fällt es aus vielen verschiedenen, zweifellos nachvollziehbaren, Gründen schwer Anzeige zu erstatten. Früher (und leider zum Teil auch heute noch) war eine gerichtsverwertbare Untersuchung und Dokumentation nur über den Weg zur Polizei mit Anzeige möglich.

Aber gerade bei sexualisierter Gewalt ist es wichtig, einen niedrigschwelligen Zugang zu Untersuchungs- und Dokumentationsangeboten zu ermöglichen. Und da kommt die vertrauliche Spurensicherung ins Spiel, welche nicht nur von rechtsmedizinischen Instituten sondern auch in vielen Kliniken angeboten wird. Betroffene von sexualisierter Gewalt können sich an eine dieser Untersuchungsstellen wenden, werden kostenlos untersucht, bzw. übernehmen die Krankenkassen die Untersuchung und Befunde und Spuren werden gesichert. 

Was wir aber noch einmal betonen wollen: Dieser Untersuchung geht weder eine Anzeige bei der Polizei voraus, noch muss das zwingend im Anschluss erfolgen. Es geht darum, Befunde und Spuren zu sichern, damit auch zu einem späteren Zeitpunkt, wenn sich die betroffene Person zu einer Anzeige entscheiden sollte, gerichtsverwertbare Befunde vorhanden sind. Sollte man sich nicht zu weiteren Schritten entscheiden, ist das auch absolut legitim. 

Um sich weitere Informationen dazu zu holen gibt es nicht die eine Quelle, wo man sich zu diesem Thema belesen kann. Allerdings findet man unter dem Stichwort vertrauliche Spurensicherung gerne auch in Kombination mit einem Bundesland oder einem Ort in gängigen Suchmaschinen, reichlich Informationen bezüglich Kontaktmöglichkeiten, Untersuchungsstellen und vieles mehr.

Begriffserläuterung – klinisch-forensische Ambulanzen – 

Beiden Konzepten gemeinsam ist der niedrigschwellige Zugang. Bei den Ambulanzen geht es jedoch nicht speziell um sexuellen Missbrauch, sondern richtet sich dieses Angebot in aller Regel an Betroffene von Gewalt im Allgemeinen. Oft findet man solche Ambulanzen an rechtsmedizinischen Instituten. Man kann sich dort melden, wird rechtsmedizinisch körperlich untersucht und die Befunde werden gerichtsverwertbar dokumentiert. 

Die Beweissicherung erfolgt an den klinisch-forensischen Ambulanzen ohne zwingend eine Anzeige nach sich zu ziehen beziehungsweise auch ohne, dass weitere rechtliche Schritte eingeleitet werden. 

Die verschiedenen rechtsmedizinischen Institute haben unterschiedliche Konzepte entwickelt, teilweise auch in Kooperation mit Beratungsstellen etwa. Wer sich dafür interessiert, Kontaktdaten sucht oder ähnliches, findet Infos unter diesem Link zur AG Klinische Rechtsmedizin der DGRM:

https://www.dgrm.de/arbeitsgemeinschaften/klinische-rechtsmedizin/untersuchungsstellen

Hier findet ihr eine Liste aller rechtsmedizinischen Ambulanzen, die meisten mit Link zur Ambulanz-homepage, wo ihr euch dann das genaue Konzept anschauen könnt.

Verletzungen, ein Überblick:

Man unterteilt die Verletzungen grob nach der Art der einwirkenden Gewalt ein. 

Es wird stumpfe, halbscharfe und scharfe Gewalt unterschieden.

Stumpfe Gewalt:

Hierunter versteht man verschiedenste Gewaltformen, deren gemeinsames Merkmal das flächenhafte Auftreffen auf den Körper darstellt. Beispiele von stumpfer Gewalt sind Tritte, Schläge mit oder ohne „Hilfsmittel“, ein Sturz oder auch eine Kompression.

Je nach Auftreffwinkel der Gewalt kommt es zu unterschiedlichen Verletzungen: Wirkt eine Kraft tangential auf die Haut ein, kommt es in der Regel zu Schürfungen. Bei sehr starker tangential einwirkender Gewalt kann es auch zu einer Ablederung, man kennt vielleicht auch den Begriff Décollement mit Abscheren der Haut vom darunter liegenden Unterhautfettgewebe kommen, ein dafür typischer Unfallmechanismus ist ein Überrollen von Personen durch KFZ-Reifen.

Bei nicht-tangentialer stumpfer Gewalteinwirkung finden sich häufig Blutunterlaufungen. Hierbei denkt man zunächst an Hämatome. Es kann auch aber zu kleinfleckigen Hauteinblutungen oder Hautrötungen kommen, welche nach wenigen Stunden nicht mehr sichtbar sind, beispielsweise der Handabdruck bei einer Ohrfeige, der einen recht charakteristischen aber meist nur kurzfristiger sichtbaren Befund darstellt.

Solltet ihr so etwas zu sehen bekommen, denkt bitte an die nachvollziehbare schriftliche Dokumentation, und im besten Fall ein Foto mit Maßstab, sofern möglich. 

Exkurs zu Hämatomen: 

Eine Alterseinschätzung von Hämatomen aufgrund ihrer Färbung ist nicht ohne weiteres möglich, da dieses Charakteristikum von zu vielen Faktoren beeinflusst wird. Man kann sich einfach grob merken, dass eine Gelbfärbung für eine eher älteres Hämatom (älter als 24h) spricht.

Oftmals sind Hämatome ungeformt, sollten sich jedoch charakteristisch geformte Hämatome finden, wäre auch hier eine schöne Beschreibung oder ein Bild zur Dokumentation super. 

Typische geformte Verletzungen sind zum Beispiel ein Handabdruck, Zahnabdrücke bei Bissverletzungen (hier kann teilweise durch Abgleich mit dem Gebiss eines Beschuldigten sogar nachgewiesen werden, ob es diese Person war) oder Schuhsohlenprofile. Stockschläge verursachen ein charakteristisches Doppelstriemenmuster. 

Nach einer stumpfen Gewalteinwirkung kann es durch Druck- bzw. Zugbelastung zu Quetsch-Riss-Verletzungen kommen, hierbei sind Körperstellen mit wenig Weichteilgewebe über den Knochen weniger stark betroffen als Stellen, an denen die Haut nahezu direkt auf dem Knochen aufliegt.

Um stumpfe und scharfe Gewalt gut unterscheiden zu können, haben wir Euch hier eine Tabelle zu den Merkmalen abgefasst. 

Merkmalstumpfe Gewaltscharfe Gewalt
Wundränderi.d.R. unregelmäßig, es können sich am Rand
auch Schürfungen zeigen
glattrandig
Wundwinkel stumpfspitz
Gewebsbrückenin der Tiefe, da nicht alle Schichten durchtrenntkeine, bzw. i.d.R. keine
Tabelle stumpfe vs. scharfe Gewalt

Ein Sonderpunkt sind Verletzungen am Kopf, die mittels der sogenannten Hutkrempenregel eingeschätzt werden können. Diese Regel besagt, dass Verletzungen oberhalb einer gedachten Linie am Kopf, die dem Verlauf eines Hutes ähnelt, eher durch Schläge verursacht wurden und unterhalb dieser Linie eher durch Stürze. Leider gilt diese Regel ausschließlich für einen Sturz zu ebener Erde und auch nur dann, wenn keine Gegenstände in der Nähe sind, an die man bei einem Sturz mit dem Kopf anschlagen kann. Auch bei einem Treppensturz, kann diese Regel nicht mehr angewandt werden.

Scharfe Gewalt:

Scharfe Gewalt wird definiert als mehr oder weniger rechtwinklig zur Körperoberfläche stattfindende Einwirkung eines spitzen Gegenstandes wie beispielsweise Messer, Dolch, Schere, Glasscherbe o.ä., wobei man hier von Stichverletzungen spricht oder als eher tangentiale Einwirkung eines scharfrandigen Gegenstandes, wir sprechen dann von einer Schnittverletzung. 

Häufig wird bei Stichwunden von den Betroffenen nur ein Schlag nicht aber der Stich selbst bemerkt, weshalb man auch besonders in der Präklinik aufmerksam bei einer Untersuchung nach einer Gewalteinwirkung sein sollte. 

Stichverletzungen sind per definitionem tiefer als lang, wohingegen Schnittverletzungen länger als tief sind.

Aber Vorsicht!

Anhand der Stichkanallänge kann nicht sicher auf die Klingenlänge geschlossen werden. Wenn die Stichwaffe nicht komplett eingedrungen ist, würde der Stichkanal eine zu kurze Klingenlänge vermuten lassen, wenn mit erheblicher Wucht zugestochen wurde, kann das Gewebe komprimiert werden, wodurch der Stichkanal länger ausfallen kann als die Klinge eigentlich lang ist. Deshalb verbietet es sich anhand der Stichkanallänge 1:1 Rückschlüsse auf die Klingenlänge zu ziehen.

Schnittverletzungen sind aufgrund der eher tangential einwirkenden Gewalt meist nicht so tiefgreifend, die Wundwinkel laufen manchmal seicht aus. Gerade bei Verletzungen durch scharfe Gewalt, die häufig chirurgisch versorgt werden müssen, ist eine fotografische Dokumentation der „unversorgten“ Wunde, im Idealfall mit Maßstab, wirklich wichtig, da man nach der Versorgung so gut wie nichts mehr von der ursprünglichen Verletzung erkennen kann. 

Wenn dann noch in den Krankenunterlagen lediglich “Stichverletzung an der Flanke” steht, hat ein*e Gutachter*in keine Chance mehr, sich sinnvoll zu äußern.

Wie schon bei der stumpfen Gewalt können auch hier knöcherne Strukturen verletzt, Körperhöhle eröffnet oder innere Organe getroffen werden. 

Anhand der Merkmale einer Wunde kann man auch noch unterscheiden, ob es sich um eine Fremdbeibringung oder eine Selbstbeibringung handelt, was auch für Gutachten oder im Rettungsdienst von Relevanz sein kann. Um dies besser unterscheiden zu können haben wir auch hier eine Tabelle verfasst:

FremdbeibringungSelbstbeibringung
Erreichbarkeit An allen Körperstellen möglichGut erreichbar (auf Händigkeit achten)
Bekleidung Häufig durchtrenntHäufig unversehrt, weil vor der Verletzung entfernt
Art der Verletzungen Regellos verteilt, unterschiedlich verlaufend, unterschiedlich schwerHäufig musterartig bis parallel angeordnet, geradlinig, manchmal auch Worte eingeritzt, oberflächlich
Tabelle: Fremd- vs. Selbstbeibringung

Natürlich sollte man trotz dieses Wissens nicht jede Person argwöhnisch beobachten, ob nicht vielleicht doch eine Selbstbeibringung vorliegen könnte. Es ist meist eine Kombination aus Verletzungsbild, Hergangsschilderung und Verhalten der betroffenen Person während der Untersuchung, die an eine Selbstbeibringung denken lässt. Sollte euch so etwas auffallen, kann das natürlich gerne dokumentiert werden, hierbei sollte man sich aber mit definitiven Diagnosestellungen zurückhalten.

Nun müssen wir noch über eine weitere besondere Form der Gewalt sprechen:

Gewalt gegen den Hals oder auch Strangulation

Hierzu zählen alle den Hals bzw. die Halsweichteile komprimierenden Gewalteinwirkungen, konkret (Er-)Würgen, (Er-) Drosseln und (Er-)Hängen.

Würgen erfolgt mit bloßen Händen, es kann einhändig oder beidhändig erfolgen.

Drosseln beschreibt eine Gewalteinwirkung mit einem Werkzeug, typischerweise einem Seil oder Gürtel oder ähnlichem. 

Das Erhängen ist hiervon abzugrenzen: Die Gewalteinwirkung erfolgt hier durch das Eigengewicht der Person in der Schlinge, im Gegensatz zum Drosseln, hier wird aktiv über das Werkzeug die Kompression ausgeübt.

Durch die Gewalteinwirkung kommt es zu einer Kompression der Halsweichteile. Man ist geneigt bei Gewalt gegen den Hals gleich an Atemnot also eine Verlegung der Atemwege zu denken, denn so wird es auch häufig in Filmen dargestellt. Tatsächlich werden jedoch zunächst die großen Halsgefäße komprimiert und zwar erst die venösen und dann erst die arteriellen Gefäße.

Durch eine Behinderung des venösen Abflusses bei noch erhaltenem Zufluss kommt es zu einem intrakraniellen Drucksteigerung. Dadurch können kleinste Blutgefäße reißen und es kommt zu stecknadelkopf großen Einblutungen, den sogenannten Petechien. Die finden sich z.B. in den Bindehäuten, da denken noch die meisten dran, aber auch isoliert hinter den Ohren oder in der kompletten Gesichtshaut können diese zu finden sein. Wenn ihr also anamnestisch eine Gewalteinwirkung gegen den Hals vorliegen habt, schaut auch mal die Bindehäute an und werft einen Blick hinter die Ohren. 

Wie eben schon ausgeführt entstehen diese durch eine partielle Verlegung der hirnversorgenden Gefäße, es lässt sich daher daraus schließen, dass Petechien eine hämodynamisch relevante Gewalteinwirkung anzeigen können. 

Zusätzlich sollte unbedingt bei einer Gewalteinwirkung gegen den Hals gezielt nach Bewusstseinsverlust oder Urinabgang als Zeichen einer akuten zentralnervösen Beeinträchtigung gefragt werden. Weiterhin solltet ihr erfragen, ob Atemnot bestand, ob die betroffene Person nun heiser ist und denkt bitte daran, dass es auch zu einem späteren Zeitpunkt zu einer Schwellung im Halsbereich und so zu einer nachfolgenden sekundären Verlegung der Atemwege kommen kann.

Schaut Euch auch gerne den Hals genauer an, manchmal finden sich Spuren des Strangwerkzeugs, in Form von Rötungen, Schürfungen oder Hämatomen. Eine Fotodokumentation ist auch hier sehr hilfreich, da man anhand der Verletzungen möglicherweise erkennen kann, ob von vorne oder hinten, ein- oder beidhändig gewürgt wurde, bzw. wie gesagt das Strangwerkzeug erkennbar sein kann.

Es können auch Abwehrverletzungen zu finden sein, das sind typischerweise halbmondförmige Rötungen oder Schürfungen, die stammen vom Greifen des Opfers in den Griff der angreifenden Person bzw. in das Werkzeug hinein, um sich Platz zu schaffen. 

Und hier noch ein Hinweis für die Kolleg*innen aus dem Rettungsdienst:

Solltet ihr zu einem Einsatz mit Stichwort Erhängen gerufen werden und könnt nur noch den Tod feststellen, lasst das Strangwerkzeug an Ort und Stelle, die Rechtsmedizin wird es euch danken.

Anmerkung:

Wir haben nur eine Auswahl an Verletzungen ausgesucht, um nicht zu ausführlich zu werden. Des Weiteren haben wir uns auf äußere Befunde beschränkt, selbstverständlich können auch innere Verletzungen vorliegen.

Und nun ein kurzer juristischer Exkurs mit Hinweisen zu Fotos/Lichtbildern in der Medizin:

I. Bildaufnahmen von Patient*innen, gleichviel ob Fotos oder Videos, unterfallen datenschutzrechtlich strengen Anforderungen. Es handelt sich dann, wenn die Lichtbilder den körperlichen Gesundheitszustand dartun, um sog. Gesundheitsdaten, die grundsätzlich besonders geschützt sind.

1. Die Datenschutzgrundverordnung gilt für die Verarbeitung personenbezogener Daten. Bild- und Videoaufnahmen fallen unter den Begriff personenbezogene Daten, wenn sie eine Identifikation ermöglichen. Davon wird man ausgehen müssen, wenn Notärzt*innen Aufnahmen der Patient*innen anfertigen. Das gilt vor allem, wenn die Identifikation des Patienten/der Patientin jederzeit möglich ist.

2. Lichtbilder von Patient*innen sind zudem sogenannte Gesundheitsdaten, wenn sie Krankheit oder den Gesundheitszustand offenbaren. So sind zum Beispiel auch Röntgenbilder Gesundheitsdaten. Für solche Daten gilt daher ein besonderer Schutz:

a) Nach Art. 9 Absatz 1 DSGVO dürfen Gesundheitsdaten einer natürlichen Person nicht verarbeitet werden. Verarbeiten heißt: Erfassen und Speichern der Daten, hier konkret der Lichtbilder. 

b) Von dem Verarbeitungsverbot gibt es aber mehrere Ausnahmen in Art. 9 Absatz 2 DSGVO, nämlich u.a. bei Einwilligung (1), zum Schutz lebenswichtiger Patienteninteressen (wenn Verarbeitung der Daten erforderlich) (2) oder zum Zwecke medizinischer Diagnostik/Behandlung aufgrund Vertrages (wenn Verarbeitung der Daten erforderlich) (3).

(1) Der Patient/ die Patientin kann zunächst gebeten werden, ausdrücklich in die Vornahme der Lichtbilder, die man etwa für bestimmte Zwecke medizinischer Art benötigt, einzuwilligen.

(2) In seltenen Fällen kann die Aufnahme auch zum Schutz lebenswichtiger Interessen des Patienten erforderlich sein (Voraussetzung: Patient*in ist außerstande, eine Einwilligung zu geben).

(3) Sucht der Notfallarzt/ die Notfallärztin Patient*innen auf und behandelt diese Person sogleich, wird in der Regel (Ausnahme: Komapatient*in) zivilrechtlich ein Behandlungsvertrag gemäß § 630a BGB geschlossen. In diesen Fällen sind sämtliche Formen gesundheitsbezogener Handlungen (präventiv, diagnostisch, kurativ und nachsorgend) nach Art. 9 Abs. 2 Buchstabe h DSGVO datenschutzrechtlich erlaubt. Sind Lichtbilder zwingend erforderlich, sind diese daher gestattet. Voraussetzung ist aber, dass die Daten/Lichtbilder von medizinischem Fachpersonal erhoben werden (Art. 9 Abs. 3 DSGVO).

Darüber hinaus kann auch die zivilrechtliche Dokumentationspflicht gemäß § 630f BGB die Lichtbilder gebieten.

II. Die Aufnahme zu Schulungszwecken ist dagegen zurückhaltender zu beurteilen. 

1. Zwar ist eine Datenverarbeitung nach dem Wortlaut des Art. 9 Abs. 2 Buchstabe h DSGVO auch für die Verarbeitung von Daten für die „Verwaltung von Systemen und Diensten im Gesundheitsbereich“ möglich. Nach dem Erwägungsgrund Nr. 53 zur Datenschutzgrundverordnung fallen hierunter zwar „Qualitätskontrolle“, „wissenschaftliche Forschungszwecke“ sowie „Studien im Bereich der öffentlichen Gesundheit“. Die Anforderungen hieran dürften aber sehr streng sein (wir erinnern uns: Die Verarbeitung ist die Ausnahme), sodass Lichtbildaufnahmen der Patient*innen zu Schulungszwecken nur selten legitimiert sind. Auch hier empfiehlt es sich eine Einwilligung einzuholen.

2. Da zudem die strafrechtliche Schweigepflicht gilt (§ 203 StGB), muss man sich auch insoweit von dieser entbinden lassen.

Autorinnen:

Dr. med. Marie-Christine Feix-Berscheid – Fachärztin für Rechtsmedizin

Dr. med. Dana Maresa Spies – Assistenzärztin für Anästhesie und Intensivtherapie

Kinderschutz bzw. Kindesmisshandlung:

https://www.dgkim.de/

http://www.kindesmisshandlung.de/mediapool/32/328527/data/Herrmann-Kindesmisshandlung-3.Aufl._2016-Seite_1-26-Vorwort-Inhalt.pdf

AG Klinische Rechtsmedizin, Untersuchungsstellen

https://www.dgrm.de/arbeitsgemeinschaften/klinische-rechtsmedizin/untersuchungsstellen

Buchempfehlungen:

Randolph Penning, Rechtsmedizin systematisch, Uni-MEd (recht nüchtern in der Aufmachung, wenig Bilder und die schwarz-weiß, ABER inhaltlich wirklich kompakt auf das Wesentliche fokussiert)

Dettmeyer, Veit, Verhoff; Rechtsmedizin, Springer (gute Abbildungen, ebenfalls sehr kompakt auf die essentiellen Punkte ausgerichtet, für alle, die gerne bunter Bilder sehen)

Datenschutzgrundverordnung:

https://dsgvo-gesetz.de

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