– Kommentar- Ethische Entscheidungen in Zeiten von COVID-19
COVID-19 ist DIE medizinische Herausforderung unseres Jahrhunderts wenn nicht des ganzen Jahrtausends. Wenn man in unsere europäischen Nachbarländer schaut, sieht man Gesundheitssysteme am Limit. Kommen wir genauso weit, wie hart wird es uns treffen?
Diese Fragen können wir nicht beantworten, aber wir können uns damit auseinandersetzen was potenziell auf uns zukommen könnte und wie wir damit umgehen wollen. Wir haben lange darüber nachgedacht, ob wir uns zu diesem, zugegeben schwierigen, Thema überhaupt äußern sollen, aber wir möchten unsere Meinung gerne mit euch teilen.
Aus den europäischen Nachbarländer erreichen unsere schockierende Nachrichten, die Zustände dort dürfen zurecht als kriegsähnlich beschrieben werden.
Ein Beatmungsbett zu bekommen ist in manchen Regionen schwer bis unmöglich, es müssen Triageentscheidungen getroffen werden. Mancherorts wird je nach Alter oder Vorerkrankungen ein kuratives Therapiekonzept auf ein palliatives umgestellt.
Das alles ist eine Situation mit der keiner von uns je gerechnet hätte und die wir alle nach Möglichkeit für Deutschland vermeiden wollen. Hierin liegt die Grundlage für die #FlattentheCurve-Bewegung. Keiner beabsichtigt der Wirtschaft vermeidbaren Schaden zuzufügen oder Panikmache zu betreiben, das Einzige was wir als Ärzte, Pflegepersonal und Rettungsfachpersonal wollen, ist eine abwendbare Triageentscheidung zu vermeiden! Wir wollen dem Patienten zu jedem Zeitpunkt in unserem Zuständigkeitsbereich die bestmögliche Therapie nach aktuellem medizinischen Standard zukommen lassen.
Aus genau diesem Grund hat sich die DIVI gemeinsam mit anderen deutschen Fachgesellschaften zusammengetan und eine Empfehlung für die „Zuteilung von Ressourcen in der Notfall- und Intensivmedizin im Kontext der COVID19-Pandemie“. veröffentlicht. Diese findet ihr hier
Aber ist diese Empfehlung überhaupt praktisch umsetzbar ? Wie realistisch ist dies abseits von Universitätsklinika? Wir haben da teilweise leider unsere Bedenken.
So schreibt die DIVI, dass eine Entscheidungsfindung bei einer möglichen Priorisierung im „Mehraugen-Prinzip“ von 2 intensivmedizinisch erfahrenen Ärzten und einem Vertreter der Pflege erfolgen soll. Aber wie realistisch ist das? Gerade in kleineren Häusern ist oft nur ein Internist und ein Anästhesist im Dienst, oft ist keiner von diesen Facharzt, so dass man wohl kaum von intensivmedizinisch erfahrenen Kollegen sprechen kann.
Als Alternative ist es zwingend erforderlich einen Facharzt-Vordergrund bzw. noch besser Oberarzt-Vordergrund einzuführen. Wie realistisch das ist, mag jeder für sein Setting selbst beurteilen.
Wir müssen uns im Klaren darüber sein, dass das häufig geforderte Ethik-Komitee nicht in jeder Klinik zu jedem Zeitpunkt verfügbar sein wird. Auch sollte klar sein, dass ein solches Gremium nicht in der Lage sein wird zeitkritische Entscheidungen zu treffen. Daher stehen wir einem solchen Konstrukt eher kritisch gegenüber.
Des Weiteren empfiehlt die DIVI eine Entscheidung über die Notwendigkeit einer Intensivtherapie vor der Priorisierung, das klingt für uns eher nach einem theoretischen Konstrukt.
In einem üblichen Krankenhaus, gerade in einem Pandemie-Setting, wird die ZNA eine zentrale Pufferfunktion ausüben. Es ist auf jeden Fall zu vermeiden, die Entscheidung über die Priorisierung und dann ggf. Weiterverlegung im Haus auf die, wahrscheinlich sowieso schon, überlastete Intensivstation zu verlagern. Daher müssen beide Entscheidungen in der ZNA getroffen werden, die Priorisierung sollte dort zuerst erfolgen, da sich damit die Entscheidung einer ITS-Aufnahme ggf. erledigt. Ausnahmen können nur entstehen, da alle Patienten einem ständigen Priorisierungs-Prozess unterliegen, was aber die permanente Re-Evaluation erfordert. Eine Option, die in der Realität kaum möglich sein wird.
Die ÖGARI hat ebenfalls eine Empfehlung zur Allokation intensivmedizinischer Ressourcen herausgeben. Diese könnt ihr hier abrufen. Hier wird konkret empfohlen, etablierte Scoring-Systeme zu verwenden, gedacht wird hier z.B. an den SOFA-Score oder an das Frailty Assessment. Einen konkreten Punktwerten, ab dem der Entschluss zur Intensivtherapie negativ zu fassen ist, gibt die ÖGARI, verständlicherweise, nicht vor. Nichtsdestotrotz finden wir diesen Ansatz sinnvoll, da er eine Möglichkeit der Objektivierung dieser sehr schwierigen Entscheidungsfindung anbietet. Jedem einzelnen muss allerdings klar sein, dass man im Einzelfall eine Entscheidung nicht rein von Scores abhängig machen kann, wie wir auch aus anderen Zusammenhängen wissen (z.B. GCS und Entscheid zur Intubation).
Um die Kommunikation schwieriger Entscheidungen etwas einfach zu machen, hat die Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin konkrete Kommunikationsstränge vorgeschlagen, wie im Kontext mit COVID-19 und Angehörigen bzw. Patienten umgegangen werden kann. Diese findet ihr hier. Für den erfahrenen Intensivmediziner mögen die Tipps überflüssig erscheinen, aber gehen wir von einem Triage-Setting aus, so werden auch Kollegen in die Situation kommen schwierige Entscheidungen kommunizieren zu müssen, die darin nicht erfahren sind.
Versteht uns nicht falsch, auf keinen Fall wollen wir den Teufel an die Wand malen, aber ethische Entscheidungsdilemmas werden uns wahrscheinlich treffen. Kein Arzt und keine Pflegekraft möchte in diese Situation kommen, aber es wird unsere Aufgabe sein im Zweifelsfall die Patienten auszuwählen, die die besten Chancen haben die Situation zu überleben. Die DIVI schreibt, dass der „Patientenwille“ die Grunddlage für eine Entscheidung bilden soll. Sollte ein „Triage-Szenario“ eintreten, werden wir diesen kaum noch berücksichtigen können, so hart wie dies im Einzelfall sein wird.
Juristisch werden wir alle ziemlich alleine da stehen, uns ist kein Paragraph bekannt, der eine Entscheidung über „Leben & Tod“ dem medizinischen Fachpersonal zubilligt. Das ist auch gut so! Aber in der Pandemie-Situation wird man hier pragmatische Lösungen finden müssen, das ist ein spannendes Feld und wir sind gespannt ob der ein oder andere Jurist sich schon mit der Thematik befasst.
Alles in allem halten wir die DIVI-Empfehlungen für eine Empfehlung aber nicht mehr und auch nicht weniger. Es wird uns die Entscheidung weder abgenommen noch erleichtern. Wir müssen auf unsere Ausbildung und klinische Erfahrung vertrauen.
Redet miteinander und schützt euch selber, keinem fällt so etwas leicht, aber es wird keinen anderen geben, der euch im Zweifelsfall die Entscheidung abnimmt.
Don’t panic & bleibt gesund!
Eure Pin-Up-Docs
Ich sehe das Papier eher so ein wenig als „Geeier“ um den heißen Brei. Einige darin enthaltene Punkte sollten eigentlich ethische Fragestellungen sein welche im alltäglichen Leben bereits Anwendung finden sollten und dort schon nicht umgesetzt werden. Sollte uns wirklich ein „Hit“ wie in Italien oder Spanien treffen müssen wir leider von Katastrophenmedizin sprechen und davon sind diese Empfehlungen weit entfernt.
Vielen Dank für deinen Kommentar!
Im Prinzip sehen wir das sehr ähnlich, keiner will sich jetzt richtig aus dem Fenster lehnen, deshalb haben wir die ÖGARI-Empfehlung mit eingebaut, die wenigstens etwas handfestes mit an die Hand gibt.
Viele Grüße!
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