Der Reiserückkehrer mit Fieber, was nun ?
Fallbeispiel Teil 1:
Eine 25-jährige Reisebloggerin stellt sich mit Durchfall, Schwäche, Fieber und Schüttelfrost seit dem Vortag zu Fuß in eurer Notaufnahme vor. Auf Nachfrage gibt sie an zuletzt in Nigeria und Kamerun gewesen zu sein. Sie zeigt euch schöne Bilder aus ihrem Instagram-Account. Ihr betrachtet das Profil von YogaTravelLeni95. Die junge Frau auf den Bildern scheint eine ganz andere zu sein als eure Patientin. Als ihr sie anschaut, wirkt sie blass, müde und abgeschlagen. Ihr nehmt erstmal Blut ab, lasst die Vitalparameter bestimmen (Atemfrequenz 18, HF 92, RR 100/60 mmHg, Temperatur 38,9 °C) und überlegt das weitere Vorgehen.
Allgemeines/Epidemiologie
3 % der amerikanischen Reiserückkehrer*innen litten unter fieberhaften Erscheinungen. 28 % davon suchten ärztliche Hilfe auf. Der erste Schritt sich der Aufarbeitung des Patienten zu nähern ist eine ausgiebige Reiseanamnese. Die Ursachen von Fieber sind vielfältig und je nach Region unterschiedlich. Diagnostische Tests sind zum Teil nicht etabliert oder verfügbar. Selbst in Expertenzentren erhalten ein Viertel der Patienten nach sorgfältiger Aufarbeitung keine Diagnose. Den größten Anteil der amerikanischen behandelten Patienten nehmen Malaria-Erkrankte ein (77 %) und Typhus (18 %). Aber auch „nicht-reisebedingte“ Ursachen für Fieber (Respiratorische Infektionen, Harnwegsinfekte) nahmen bei einer europäischen Fallserie ca. 34 % ein.
Algorithmus
Ersteinschätzung
Zunächst sollte die Ersteinschätzung unternommen werden, ob es sich um einen kritischen Patienten handelt. Hierzu hilft viel der erste Eindruck, der LLS-Score beschrieben von Weingart et al., natürlich qSOFA– oder News-Score. Sollten sich Anzeichen auf eine übertragbare Erkrankung ergeben, sollten Isolations-und Schutzmaßnahmen unternommen werden. Zum Glück sind die meisten tropischen Erkrankungen Verktorgebunden (z. B. Mücken, Zecken) übertragbar. Wenige Erkrankungen wie hämorrhagische Fieber (Lassa, Ebola, Marburg) und MERS, TBC benötigen, soweit ein Hinweis dazu gegeben ist, besondere Vorsichts- und Isolationsmaßnahmen
Reiseanamnese
Das Kernelement der Diagnosefindung ist die Reiseanamnese. Es ist wichtig herauszufinden, wohin der Patient, wie lange und zu welchem Zweck (beruflich, privat, Expedition, Verwandtenbesuch) gereist ist. Dabei sollte man, wenn möglich eine genaue Tagesroute mit allen Zwischenstopps erstellen. Denn bei Reisen innerhalb eines Landes können verschiedene Risikogebiete durchlaufen werden. Es geht zu eruieren wie lange die mögliche Inkubationszeit der Infektion andauert. Dieses kann differentialdiagnostisch sehr sinnvoll werden. Zudem ist auch interessant, ob gerade Trocken- oder Regenzeit im Reiseland herrschte (Mücken). Wurden empfohlene Reiseimpfungen unternommen? Wurde eine Malariaprophylaxe eingenommen und sich geschützt gegen Mücken (Repellentien, Mückennetz)? Wichtig ist auch das allgemeine Risikoverhalten des Patienten (ungeschützter Geschlechtsverkehr, Tätowierungen, Besuch von Höhlen, Baden in Süßwasser,..) zu ermitteln. Dann folgt natürlich (wie sonst auch) die allgemeine Anamnese mit Vorerkrankungen, Medikamenteneinnahme, Immunsuppression, Allergien und generellem Risikoverhalten.
Labor- und apparative Untersuchungen
- Differential-Blutbild (Thrombopenie ist sensitiver Marker), Blutkulturen, Blutgasanalyse, CRP, Kreatinin/GFR (Medikamentenauswahl), Blutzucker, E`lyte, Transaminasen, Gerinnung (INR, aPTT, Fibrinogen, ATIII -> CAVE DIC)
- Malaria-Diagnostik (s.u.)
- Hämolysemarker (Haptoglobin, indirektes Bilirubin, LDH)
- Vor Medikamentengabe: EKG (QT-Zeit), Schwangerschaftstest
- ggf. Sonographie (Abszesssuche, Splenomegalie), Rö-Thorax oder Schnittbildgebung
Fallbeispiel Teil 2:
Da die Patientin im Moment (noch) stabile Vitalparameter zeigt, intensiviert ihr zunächst die Reiseanamnese der Patientin. Sie sei in Kamerun und Nigeria 3 Wochen umher gereist um schöne Fotos zu machen. Nun sei sie vor 4 Tagen zurückgekehrt und seit dem Vortag symptomatisch geworden. Sie gibt an, sich vorab gegen Gelbfieber und Hepatitis A geimpft zu haben. Ehrlich gesagt, habe sie auf Mückenschutz nicht so geachtet und sei gerade in den Abendstunden mehrfach gestochen worden. Eine Malaria-Prophylaxe wurde nicht eingenommen. Labor: LDH 262 U/l, CRP 90mg/l, Leukopenie 3.000 /µl, Thrombopenie 90.000 /µl.
Malaria (Erreger Plasmodien)
Allgemeines und Epidemiologie:
Der Auslöser ist der Stich der weiblichen Anophelesmücke, dabei werden Sporozoiten übertragen. Es beginnt ein spezifischer Kreislauf mit Transport in die Leber und erneute Ausschüttung in den Blutkreislauf. In den Erythrozyten reifen sie zu Merozyten heran und nach Zerfall, der Erythrozyten kommt es zur Entzündungsreaktion und Fieber. Die geschlechtsreife Form der Gametozyten wird wieder durch den Stich der Mücken aufgenommen. Inkubationszeit beträgt 1-6 Wochen, weltweite Ausbreitung, aber 90% der Infektionen in Afrika. In 2016 gab es 216 Mio. Krankheitsfälle und 445.000 gemeldete Todesfälle. In Deutschland werden pro Jahr ca. 1000 Patient*innen mit Malaria behandelt. (C. Vinnemeier et al.) Fünf verschiedene Plasmodien sind die Auslöser der vier bekannten Malariaformen. Am häufigsten (75 %) ist die Malaria tropica mit dem Auslöser Plasmodium falciparum.
- Malaria tropica (Plasmodium falciparum) in Afrika bis > 90 % lebensbedrohlich, Letalität 0,5-1 %, kann alle Erythrozyten befallen
- Malaria tertiana (P. vivax und P. ovale) selten lebensbedrohlich, jedoch trotzdem sehr unangenehm Inkubationszeit 8 Tage bis zu 12 Monate (!), Rezidivprophylaxe nötig
- Malaria quartana (P. malariae) nicht lebensbedrohlich
- Malaria knowlesi (P. knowlesi) lebensbedrohlich durch kurze Zyklusdauer von 24h, häufig aus Südostasien
Vorbeugung: Mückenspray, Mückennetze, geeignete Kleidung und prophylaktische Medikation, die die Weiterentwicklung der Plasmodienstadien unterbricht
Symptome: häufig unspezifisch, Fieber, Übelkeit, Erbrechen, Durchfall, Kopf- und Gliederschmerzen, Myalgien, Arthralgien, trockener Husten, Ikterus, Splenomegalie
Bei Hinweis auf komplizierte Malaria sollte eine intensivmedizinische Behandlung erfolgen. Gefürchtet sind vor allem die zerebrale Malaria, die die häufigste Malariatodesursache bildet. Verwirrung und Schläfrigkeit sollten stets ernst genommen werden und die Vigilanz der Erkrankten engmaschig überprüft werden.
Modifiziert nach: Eder, Bianca, Bissinger, Alfred L., Riessen, Reimer, Haap, Michael, Malaria tropica und Dengue-Fieber – eine Herausforderung der Intensivmedizin; DOI: 10.1055/s-0043-122729, Intensivmedizin up2date 2018; 14(03): 263 – 278
Diagnostik: Bei jedem Reiserückkehrer mit Fieber sollte eine Malariadiagnostik unternommen werden um eine potentiell lebensbedrohliche Form früh erkennen zu können. Der Nachweis gelingt mit frisch entnommenen EDTA-Blut. Hierzu sollte, soweit vorhanden, ein Malaria-Schnelltest (sehr zuverlässig) erfolgen, dann ein „dicker Tropfen“ und ein Blutausstrich. Bei niedriger Parasitendichte sind mehrfache Blutentnahmen nötig. Bitte nicht aus liegenden Zugängen entnehmen. Bestimmung der Parasitendichte in %. Die Diagnostik ist unabhängig davon durchzuführen, ob gerade Fieber vorliegt oder nicht. Bei dem Verdacht einer zerebralen Beteiligung sollte eine Lumbalpunktion durchgeführt werden.
Therapie: Bitte die aktuellen Empfehlungen der AWMF S1- Leitlinie oder der Deutschen Gesellschaft für Tropenmedizin, Reisemedizin und globale Gesundheit e.V. entnehmen. Resistenzen und Beipackzettel beachten. Aufgeführte Medikamente und Dosierungen immer kritisch überprüfen. Vorrätigkeit der Medikamente in der Klinik überprüfen.
- Unkomplizierte Malaria tropica und Malaria knowlesi : Normalstation, Malarone© (Atovaquon/Proguanil Tbl. 100 + 250mg) 3 Tage lang 4 Tbl. (Täglich insg. 400 + 1000mg); nicht bei Niereninsuffizienz oder Überempfindlichkeit. Alternativ: Riamet© (Artemether/Lumefantrin Tbl. 20 + 120mg) initial 4 Tbl. (insg. 80 + 480mg) einnehmen, dann Wdh. nach 8h, an Tag 2 und 3 jeweils 2 x 4 Tbl. einnehmen. Cave: QT-Zeit beachten und keine gleichzeitige Einnahme mit Carbamazepin, Rifampicin, Phenytoin oder Johanneskraut (Cyp3A4).
Beide Medikamente zur fettreichen Nahrungsaufnahme oder Milch nehmen bei sonst geringer oraler Bioverfügbarkeit.
- Komplizierte Malaria tropica: Intensivstation, Artesunat 2,4mg/kgKG i.v. als langsamer Bolus über 5 min, (Auflösen zunächst mit 1 ml Natriumbicarbonat, dann mit 5 ml NaCl 0,9% verdünnen auf 6 ml, ungefähr eine Ampulle à 60mg pro 25kg) Wdh. nach 12, 24, 48, 72h und schließlich Oralisierung nach Eintreten einer raschen Besserung frühestens aber nach 24h (Artemether/Lumefantrin 80 + 480mg)
- Malaria quartana oder tertiana: Ambulante Therapie oder Normalstation, Riamet© (Artemeter/Lumefantrin) alternativ Malarone© (Atovaquon/Proguanil), oder Resochin© (Chloroquin) 4 Tbl. initial (= 600mg Chloroquin-Base) Cave: 250mg-Tablette enthält nur 150-155mg Wirkstoff, dann nach 6, 24, 48h jeweils 2 Tbl. (= 300mg Wirkstoff), Tertianarezidivprophylaxe: Primaquin 15mg 1x tgl. für 14 Tage
Expertise der Fachkollegen aus der Tropenmedizin zu Rate ziehen.
Liste der Krankenhäuser, welche Artesunate und Chinin vorrätig halten
Dengue-Fieber (Erreger: Dengue Virus, 4 verschiedene Serotypen)
Allgemeines und Epidemiologie:
50-100 Millionen Erkrankungsfälle jährlich mit 22.000 Todesfällen. 2016 wurden vom RKI in Deutschland 956 Dengue-Fälle gemeldet. Vorkommen in tropischen und subtropischen Gebieten besonders im asiatischen Raum (79 % Reiserückkehrer aus Asien). Mückenstich durch Aedis aegypti. Inkubationszeit ca. 2-14 Tage. 90 % der Infektionen verlaufen asymptomatisch oder mit mildem Verlauf. In ca. 1-2 % teilweise schweres hämorrhagisches Fieber mit Blutungen, Multiorganversagen (MOV). Dieses tritt vor allem auf, wenn Patient*innen mit mehreren Serotypen des Virus simultan infiziert worden bzw. schon in der Vergangenheit erkrankt waren.
Prophylaxe: Vermeidung von Mückenstichen, Lebendimpfstoff in einigen Ländern zugelassen (nicht geeignet für Reisende, aber für Personen mit bereits durchgemachter Erkrankung).
Symptome:
- 1. Phase: Myalgie, Arthralgien, hohes Fieber (Knochenbrecherfieber), retroorbitale Schmerzen
- 2. Phase: Fieber, masernartiges Exanthem, Lymphknotenschwellung
- (3. Phase: Dengue hämorrhagisches Fieber (DHF) mit Multiorganversagen und Dengue-Schock-Syndrom (DSS) mit hohen Flüssigkeitsverlusten im Rahmen eines Capillary-leak, Petechien)
Diagnostik: Labortest eher unspezifisch (Thrombopenie, Leukopenie, relative Lymphozytose, Transaminasen ↑)
Direkter Virusnachweis mittels Antigentest (NS1-Antigen) oder PCR-Testung, frühestens nach 4 Tagen nach Fieberbeginn können IgM-Antikörper nachgewiesen werden. Immer sollte auch eine Malaria-Erkrankung ausgeschlossen werden.
Therapie: Symptomatisch, Flüssigkeitszufuhr, ggf. intensivmedizinische Therapie bei DHF und DSS
Auf eine Medikation mit Acetylsalicylsäure sollte im Rahmen der Thrombopenie und Blutungsneigung verzichtet werden.
Fallbeispiel Teil 3: Wie ging es denn mit unserer Patientin weiter? Ein Schnelltest gab es leider im Krankenhaus nicht, aber das ortsansässige Labor konnte mit Hilfe des dicken Tropfens und des Blutausstrichs eine Malaria tropica (P. falciparum) bei unserer Patientin nachweisen. Im Labor zeigten sich zunächst keine Hinweise auf einen komplizierten Verlauf. Somit wurde die Patientin mit Malarone© therapiert. Im Verlauf sank der Hb-Wert bis auf 9 g/dl ab und es kam zum Kreatininanstieg auf 1,8 mg/dl, aber dieser war glücklicherweise im Verlauf rückläufig. Die Patientin konnte nach 14 Tagen das Krankenhaus wieder verlassen und ist bei ihrer nächsten Reise besser vorbereitet.
Hilfestellung bei der Diagnostik:
TTTA-Regel: Travel = Reiserückkehrer, Temperature = Fieber, Thrombopenie = niedrige Blutplättchenanzahl, A = Asien (eher Dengue) oder Afrika (eher Malaria)
Nutzung von Hilfsmittel z. B. www.fevertravel.ch
Spickzettel des BMJ zur Differentialdiagnose des Fiebers beim Reiserückkehrer für die Schublade in der Notaufnahme.
Punchlines:
- Reiseanamnese ernst nehmen.
- Nicht-Reisebedingte Ursachen für Fieber im Hinterkopf haben.
- Malaria und Dengue als häufigste Ursachen in Betracht ziehen. Immer an Malaria-Diagnostik bei Reiserückkehrern mit Fieber denken, auch wenn Aufenthalt schon Monate her ist.
- Tropenmediziner zur Rate ziehen.
- Hochkontagiöse Reisekrankheiten sind glücklicherweise meist selten.
Referenzen
Leitlinien, Artikel, Blogs, Homepages, Paper:
AWMF – S1-Leitlinie Diagnostik und Therapie der Malaria gültig bis 21.05.2023
Deutschen Gesellschaft für Tropenmedizin, Reisemedizin und globale Gesundheit e.V.
Thwaites GE, Day NP. Approach to Fever in the Returning Traveler. N Engl J Med. 2017 Feb 9;376(6):548-560. doi: 10.1056/NEJMra1508435. PMID: 28177860.
Eder, Bianca, Bissinger, Alfred L., Riessen, Reimer, Haap, Michael, Malaria tropica und Dengue-Fieber – eine Herausforderung der Intensivmedizin; DOI: 10.1055/s-0043-122729, Intensivmedizin up2date 2018; 14(03): 263 – 278
Vinnemeier CD, Rolling T. Prophylaxe und Therapie der Malaria: aktuelle Empfehlungen [Prophylaxis and Therapy of Malaria: Current Recommendations]. Dtsch Med Wochenschr. 2018 Apr;143(7):472-475. German. doi: 10.1055/s-0044-100818. Epub 2018 Apr 3. PMID: 29614536.
Scaggs Huang FA, Schlaudecker E. Fever in the Returning Traveler. Infect Dis Clin North Am. 2018 Mar;32(1):163-188. doi: 10.1016/j.idc.2017.10.009. PMID: 29406974; PMCID: PMC7135112.
Swiss medical Forum – Fieber bei Reiserückkehrern – Abgerufen am 24.05.2021
Das FOAM New Early Warning Score – Abgerufen am 24.05.2021
EMCrit – The LLS Score nach S.Weingart – Abgerufen am 24.05.2021
CDC Yellow Book 2020 – Travel related infectious diseases – Abgerufen am 24.05.2021
Auswärtiges Amt – Merkblatt Dengue – Abgerufen am 28.05.2021
Auswärtiges Amt – Merkblatt Malaria – Abgerufen am 28.05.2021
Videos:
Krank aus dem Urlaub | Medizinische Gesellschaft Mainz
Reisemedizin: Weltweite Verteilung wichtiger Infektionskrankheiten – AMBOSS Auditor
Podcasts:
This Podcast will kill you – Episode 42 Dandy Dengue Syndrome
This Podcast will kill you – Episode 8 Abracadabra! Go away Malaria!
BMJ – Fever in the returning traveller 2018; 360 doi: https://doi.org/10.1136/bmj.j5773 (Published 25 January 2018) Cite this as: BMJ 2018;360:j5773
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