Kindlicher Hüftschmerz – Coxitis fugax versus septische Coxitis
Es geht heute darum zwei sehr ähnlich klingende Krankheitsbilder zu differenzieren. Das eine selbstlimitierend und in der Regel harmlos. Das andere mit einer erhöhten Sterblichkeit und irreversiblen Gelenkstörungen einhergehend, wenn es zu spät diagnostiziert wird.
Fallbeispiel 1:
Die kleine Merle ist 3 Jahre alt. Eigentlich sollte sie heute wieder in die Kita, aber das Kind hat Fieber 39 °C, fühlt sich schlapp, trinkt und isst nicht. Normalerweise ist die Kleine auch bei hohem Fieber noch ein Wirbelwind, aber heute mag sie das Bett nicht verlassen und auch das Lieblingsspielzeug wird verschmäht. Merle möchte nicht gehen, sondern nur getragen werden. Das ist für die Mutter, welche nun permanent 18 Kilo mit sich herumschleppen muss, relativ schwierig auf Dauer. Als sie beim Windeln wechseln vor Schmerzen nur weint, ist der Mutter das nicht mehr geheuer und sie fährt zur nahegelegenen Kinderklinik.
Septische Arthritis – Sonderform septische Coxitis
Inzidenz: 4–10/Fälle/100.000 Menschen, Mortalität 10-15 %, (bei rheumatoider Arthritis 50 %)
Prinzipiell kann sich jedes Gelenk im Körper entzünden. Das Knie ist in über 50 % der Fälle betroffen.
Auslöser: (meist hämatogene 80 %) bakterielle Entzündung eines Gelenkes.
Andere Ursachen: traumatische Direktinokulation ausgehend von einer Osteomyelitis bei Gelenken mit intrakapsulärer Metaphyse.
Die Bakterien und ihre Cytotoxine lösen eine Entzündung aus und schädigen den Gelenkknorpel. Zudem kann der sich bildende Eiter durch Druck auf die Gelenkkomponenten bereits schon nach 8 Stunden zu bleibenden Schäden führen.
Erreger:
- Staphylococcus aureus (Erwachsene und Kinder) mit Abstand am häufigsten
- bei Kleinkindern häufig grampositive Erreger: Gruppe A und B Streptokokken (Kinder <2J), Gruppe B Streptokokken (Neonaten durch Geburtstrakt)
- bei Immunsupprimierten und älteren: grammnegative, auch Pseudomonaden
- Polymicrobielle Auslöser nach penetrierendem Trauma
bei Kindern (≤48 Monate): Kingella kingae , ein gramnegativer, aerober Kokkus der als natürliche Besiedlung im oropharyngeal Trakt bei Kindern zu finden ist. Er geht mit diskreter Symptomatik und nur geringen Laborveränderungen einher. Dieser Erreger wird für einen Anteil der Kultur-negativen Arthritiden verantwortlich gemacht und wurde letztendlich erst mittels PCR diagnostiziert.
Vor der Impfung war Haemophilus Influenza bei Kindern unter 2 Jahren der häufigste Erreger.
Bei Kindern kann in 55 % der Fälle kein Erreger ausgemacht werden.
Sonderfälle:
- Neisseria meningitidis, Neisseria gonorrhoeae bei sexuell aktiven Personen oder im Rahmen der Geburt
- Salmonellen bei Sichelzellpatienti*innen
- bei Risikokonstellationen auch Mykobakterien möglich
Diagnostik:
- Anamnese: (typischerweise relativ schneller Verlauf), Impfstatus (Hib), Zeckenstiche (Borrelien)
- Untersuchung: gerötetes, geschwollenes, schmerzhaftes, überwärmtes Gelenk mit Bewegungseinschränkung. Beim Säugling wird das betroffene Bein häufig leicht in der Hüfte gebeugt und außenrotiert. Das Kind mag das betroffene Gelenk nicht belasten. Zudem können die Symptome sehr verschleiert sein. Gerade je kleiner das Kind können Trinkunlust, Inappetenz und Erbrechen bei stark beeinträchtigt wirkendem Kind die einzigen Symptome sein.
- Fieber häufig, aber auch afebriles Auftreten möglich
- Sonographie: Erkennen des Gelenkergusses im Vergleich zum unbetroffenen Gelenk. Ob jetzt Synovia, Blut oder Eiter den Erguss bilden, kann allein durch Sonographie nicht ermittelt werden.
- Apparative Diagnostik: Röntgen in 2 Ebenen (Ausschluss Fraktur und anderer Gelenkschaden z. B. Perthes-Erkrankung, in z. B. der Beckenübersicht ist Erweiterung des Gelenkspaltes als Hinweis auf einen Erguss erkennbar)
- Schnittbildgebung (MRT, CT) in Einzelfällen, sollte aber die Therapie nicht verzögern
- Labor: CRP-Erhöhung, Leukozytose sind häufig aber unspezifisch, PCT (geringe Sensitivität). Normwerte schließen septische Arthritis nicht aus.
Mikrobielle Proben:
- Gelenkpunktion, ggf. sonographisch oder radiologisch unterstützt, Direktpräparat, Analyse Zellzahl und Differenzierung, Kristallanalyse, kulturelle Anzucht mit Erreger und Resistenztestung am handlichsten in Blutkulturen (aerob/anaerob)
- Blutkulturen (bei hämatogener Streuung häufig positiv > 50 % der Fälle)
Gelenkflüssigkeit | Normal | Septisch | Andere Ursachen |
Farbe/Trübung | Transparent, klar | Trüb, gelb (manchmal rahmig), reduzierte Viskosität | z. B. Blutig: Hämarthros entzündlich: gelblich |
Leukozyten pro µL | < 200 | > 20.000 | variabel |
Polynukleäre Zellen in % | < 25 | > 75 | Hämarthros: 50-75 |
Kultur | Negativ | Häufig positiv | Negativ |
Kocher Kriterien:
(1) Leukozyten über 12.000 /µl im Serum, (2) Fieber >38,5 °C, (3) Bein nicht belastbar, (4) BSG > 40mm/h
Alle 4 Kriterien positiv 99,6 % Sensitivität auf septische Arthritis
Modifizierte Kriterien: Statt BSG -> CRP erhöht
Risikofaktoren
Kinder:
- Frühgeburtlichkeit, Neo-Intensiv
- Sectio
- Interventionen/Katheter
Erwachsenen:
- Rheumatologische Erkrankungen, vorerkrankte Gelenke
- Einliegendes Fremdmaterial (Endoprothesen/Osteosynthesen), Z. n. Gelenkpunktion
- Immunsuppression (Leukämie, HIV…), Drogenabusus ( -> Arthritis des Axialskelettes)
Differentialdiagnosen (keinen Anspruch auf Vollständigkeit):
- Allgemein: Traumatische Arthritis, Bursitis, Borrelien-Arthritis (Lyme disease), Hämarthros bei Koagulopathie/Antikoagulation, Tumor
- Kind: Reaktive (post-Streptokokken) Arthritis, Juvenile rheumatoide Arthritis, Perthes-Erkrankung, Epiphyseolysis capitis femoris
- Erwachsener: Rheumatoide Arthritis, Gicht, Pseudogicht, reaktive Arthritis oder Spondylarthritis
Therapie:
Bei Verdacht einer septischen Arthritis ist unverzüglich die Therapie einzuleiten.
1) Chirurgische Sanierung: Gelenkspülung (4-5 L beim Kind) Arthroskopisch oder mittels Arthrotomie (Gelenkeröffnung, bei fortgeschrittenem Befund großzügiges Debridement), Probengewinnung; gegebenenfalls wiederholter Eingriff möglich
2) Antibiotika (empirisch und anschließend angepasst an Antibiogramm) sollte vor allem grampositive Erreger abdecken. Abhängig vom Alter und Risikokonstellationen sollte bei MSSA ein Betalactam-Antibiotikum verwendet werden (z. B. Cefazolin), MRSA (z. B. Vancomycin), gramnegativer Erreger (z. B. Ceftriaxon, Cefotaxim)
Dauer: nach Fallserien: MSSA: 4 Wochen z . B. 2 Woche parenteral und danach 2 Wochen oral.
Siehe Up to date und septische Arthritis (Pro Implant Foundation) Pocket Card- Empfehlungen nach Registrierung herunterladbar https://pro-implant.org/tools/pocket-guide/4
Current Concepts in Pediatric Septic Arthritis
Coxitis fugax („Hüftschnupfen“)
Fallbeispiel 2:
Jonas ist 6 Jahre alt und gerade in die erste Klasse eingeschult worden. Viel Spaß macht es ihm auf dem Schulhof zu toben. Er kann sich nicht erinnern, dass er gestürzt sei, aber als er morgens aufstehen will tut sein Knie weh, sodass er ziemlich humpeln muss. Auch Jonas‘ Mutter stellt ihn in der Notaufnahme vor. Vielleicht muss er ja geröntgt werden. Jonas ist munter und findet alles ganz spannend als seine Temperatur und Vitalwerte gemessen werden. Auch bei der Untersuchung durch den Assistenzarzt macht er noch gut mit. Seine Mutter beantwortet die Fragen. Ja, vor 2 Wochen sei er mal ordentlich erkältet gewesen. Die Bewegung des rechten Hüftgelenkes scheint etwas eingeschränkt zu sein.
Ursache: Nicht eindeutig geklärt. Aber zeitlicher Zusammenhang zur respiratorischen Infekten. Typischerweise betroffen sind Kinder im Alter von 3-10 Jahren.
Diagnostik: Anamnese (typischerweise nach Infektion), Untersuchung: munteres kaum beeinträchtigt wirkendes Kind (Schonhinken, ggf. Schmerzangabe auf das Knie projiziert), Sonographie: echoarmer Erguss, ggf. Laboruntersuchung
Therapie: Entlastung ggf. Bettruhe, Sportpause, ggf. NSAR (z. B. Ibuprofen nach kgKG)
Coxitis fugax ist eine Ausschlussdiagnose! Bei Verdacht auf septische Arthritis ist die Gelenkpunktion anzustreben. Bei prolongiertem Verlauf sollte Bildgebung zum Ausschluss einer anderen Hüfterkrankung (z. B. Perthes-Erkrankung erfolgen)
Referenzen:
Erkilinc M, Gilmore A, Weber M, Mistovich RJ. Current Concepts in Pediatric Septic Arthritis. J Am Acad Orthop Surg. 2021 Mar 1;29(5):196-206. doi: 10.5435/JAAOS-D-20-00835. PMID: 33273402.
Orthobullets – Hip septic arthritis – pediatric
Ettinger, M., Petri, M. Ätiologie und Klassifikation der septischen Koxitis. Unfallchirurg 115, 967–971 (2012). https://doi.org/10.1007/s00113-012-2202-3
Differenzialdiagnostik entzündlicher Gelenkschmerzen und-schwellungen im Kindesalter Author: Ariane Klein, Gerd Horneff Publication: Aktuelle Rheumatologie Publisher: Georg Thieme Verlag KG Date: Jan 1, 2019 Copyright © 2019, Rights Managed by Georg Thieme Verlag KG Stuttgart • New York
Up to date – Septic Arthritis in Adults
Henniger M, Rehart S. Vorgehen bei Gelenkerguss [Approach to joint effusion]. Orthopade. 2016 Sep;45(9):795-806. German. doi: 10.1007/s00132-016-3308-z. PMID: 27562127.
Podcasts:
JAAOS Unplugged – Current Conceps in Pediatric Septic Arthritis
The Orthobullets Podcast – Hips septic arthritis – Pediatric
Total EM – Podcast# 176 Septic Arthritis
EM Board Bombs – Septic Arthritis: Staph is back, back again
Core EM – Emergency Medicine Podcast – Episode 170.0 – Septic Arthritis
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