Immuntherapie assoziierte Komplikationen – was Intensiv- und Notfallmediziner:innen über Immuncheckpointinhibitoren wissen sollten

Fallbeispiel 1

Auf eure Intensivstation bekommt ihr aus der Notaufnahme den 60 jährigen Herrn Mayer. Herr Mayer wurde in einem sehr viel besuchten Parkhaus neben seinem Auto leblos aufgefunden. Passant:innen haben sofort mit der Laienreanimation begonnen. Bei Eintreffen des Rettungsdienstes zeigte sich als initialer Rhythmus ein Kammerflimmern mit ROSC nach dem 1. Schock. Das initiale EKG zeigt keinerlei Auffälligkeiten.
Als Herr Mayer auf eurer Intensivstation eintrifft, ist er intubiert, sediert aber ohne Katecholamine hämodynamisch stabil. Das Troponin ist nur leicht erhöht und ohne Dynamik, allerdings ist das BNP das aus irgend einem Grund initial mit weg geschickt wurde sehr sehr hoch. Im Echo zeigt sich ein völlig unauffälliges Herz.
Von der Familie findet ihr heraus, dass Herr Mayer bislang eigentlich immer gesund und fit war. Er fährt leidenschaftlich gerne Fahrrad und ist täglich mit dem Hund unterwegs. Die einzige bekannte Vorerkrankung ist ein Nierenzellkarzinom, das mit Pembrolizumab behandelt wird. Die spannende Frage ist: Was ist die Ursache für den Kreislaufstillstand von Herrn Mayer? Und könnte die Immuntherapie etwas damit zu tun haben?

Fallbeispiel 2

Ihr habt Spätdienst auf einer internistischen Normalstation. Ihr werdet von einer Pflegekraft zu Frau Müller gerufen. Frau Müller ist eine Patientin, die wegen stärksten Bauchschmerzen und Durchfällen im Krankenhaus ist. Es wurde ein CT vom Bauch gemacht, das eine langstreckige Colitis gezeigt hat und einen kleinen Milzinfarkt. Frau Müller ist 65 Jahre alt und hat ein Adenokarzinom der Lunge, das neoadjuvant mit Cisplatin und Pembrolizumab behandelt wird. Aufgrund der Durchfälle wurde eine Stuhlprobe abgenommen, diese war positiv auf toxinbildende C. difficile, sodass C. difficile Colitis die aktuelle Arbeitsdiagnose ist und Frau Müller auch hierfür behandelt wird.
Als ihr bei Frau Müller ins Zimmer kommt liegt sie im Bett und windet sich vor Schmerzen. Euer Bauchgefühl sagt euch, dass hier irgendetwas nicht stimmt, auch wenn ihr die Patientin gerade zum ersten Mal seht. Ihr gebt der Patientin über die nächste halbe Stunde titriert 10mg Morphin i.V., ohne irgendeine Besserung der Beschwerden. Ihr macht eine BGA, die völlig unauffällig ist, das Laktat ist 2.1mmol/l. Ihr habt keine Ahnung was mit ihr los ist, aber „Pain out of proportion“ ist immer eine Red Flag, deshalb führt ihr notfallmäßig ein CT durch.
Das CT zeigt einen eindrücklichen Befund: es zeigt einen subtotalen Milzinfarkt, beidseitige Niereninfarkte, eine Ischämie des rechten Leberlappens, eine Ischämie des Magen und Dünndarms, multiple Kaliberirregularitäten aller Aortenabgänge, jedoch ohne klaren Gefässabbruch, passend zu einer Vaskulitis.
Weil ihr euch nicht mehr anders zu helfen wisst, und euch klar ist, dass die Patientin kritisch krank ist, auch wenn sie direkt auf ein Multiorganversagen zusteuert verlegt ihr sie auf die Intensivstation, die die Patientin netterweise nimmt, auch wenn sie zu dem Zeitpunkt noch stabil ist. Das erste Laktat auf der Intensivstation ist 7mmol/l. Wenig später wird die Patientin hämodynamisch instabil, wird intubiert und laparatomiert, wo die Chirurg:innen eine massive Ischämie fast aller abdominellen Organe feststellen, die mit dem Leben nicht vereinbar ist. Die Therapie wird eingestellt und die Patientin verstirbt am Folgetag.

Weil ich innerhalb kurzer Zeit bei zwei Patient:innen tödliche Komplikationen der Immuntherapie miterlebt habe und vorher kaum etwas darüber wusste, und mir bis dato die Immuntherapien nur als das neue Wundermittel der Onkologie bekannt waren, soll es im Folgenden um schwere und lebensbedrohliche Komplikationen dieser Wundermittel gehen, die für Intensivmediziner:innen und Nicht-Onkolog:innen relevant sind.

Was genau sind überhaupt Immuncheckpoint-Inhibitoren und wie funktionieren sie?

In diesem Beitrag soll es explizit um die Komplikationen von Immuncheckpoint-Inhibitoren gehen, und nicht um Nebenwirkungen und Komplikationen „klassischer“ cytotoxischer Chemotherapeutika, anderer Antikörpertherapien oder anderer Krebstherapien wie z.B. der CarT-Cell-Therapie.

Die Immuntherapie hat in den letzten Jahren die Krebstherapie revolutioniert und findet immer breiteren Einsatz. Sie hat viele, vorher rasch tödliche Krebserkrankungen, wie zum Beispiel das metastasierte maligne Melanom gut behandelbar gemacht. Aufgrund der sehr guten Wirksamkeit finden vor allem Immuncheckpoint-Inhibitoren (ICPis) zunehmende Verbreitung, wir begegnen also auch außerhalb der Onkologie immer mehr Patient:innen, die damit behandelt werden/ wurden.

Stark vereinfacht kann man sagen, dass durch die Immuncheckpoint-Inhibitoren, das Immunsystem stimuliert wird, um den Krebs zu bekämpfen. Dies wiederum kann durch eine überschießende Immunantwort zu zahlreichen, teils schwerwiegenden Komplikationen führen.

Ein kurzer Exkurs in die Immunologie

Das Immunsystem unterliegt im Normalzustand einem komplexen Gleichgewicht, in dem die Identifikation und Vernichtung fremder Antigene mit der Unterdrückung einer überschießenden, unkontrollierten Immunantwort ausgeglichen werden muss.

CD 8+ Lymphozyten (auch bekannt als zytotoxische T-Zellen) und die Th1/Th2-Subklassen der CD4+ Lymphozyten (auch bekannt als T-Helferzellen) sind für die Unterscheidung zwischen eigenen und fremden Antigenen verantwortlich. Die Antigene werden durch Antigen-präsentierende Zellen (APC, z.B. dendritische Zellen) über den Major Histocompatibility Complex MHC1 oder MHC2 präsentiert. Das geschieht durch eine Interaktion, die auch als die „immunologische Synapse“ bekannt ist.

Stark vereinfacht, besteht diese „immunologische Synapse“ aus dem T-Zell-Rezeptorkomplex, also dem T-Zell-Rezeptor selbst, dem CD4- oder CD8-Rezeptor und dem CD3-Molekül. Damit eine naive T-Zelle effektiv aktiviert werden kann, muss der T-Zell-Rezeptor in Anwesenheit eines zweiten co-stimulatorischen Signals an den MHC binden. Dies führt dann über eine intrazelluläre Signalkaskade zur Ausschüttung von proinflammatorischen Zytokinen. Diese co-stimulatorischen Signale werden wiederum eng reguliert durch agonistische Moleküle und inhibitorische Signale auf den APC und T-Zellen, die als Immun-Checkpoint-Moleküle bekannt sind.

Über welche Mechanismen entfliehen Tumorzellen nun der Kontrolle des Immunsystems?

  1. Tumorzellen können die Expression von Immuncheckpoint Molekülen wie zB PD-L1 hochregulieren, was zur Erschöpfung der peripheren T-Zellen führen kann.
  2. Tumorzellen können ihre MHC1-Expression oder ihre intrazellulären Abläufe verlieren, die notwendig sind, um das Tumorantigen an die Zelloberfläche zu transportieren. So können die Tumorantigene dann nicht mehr von T-Zellen erkannt werden.
  3. Tumorzellen können durch Manipulation von Zytokinen (z.B. gesteigerte Sekretion von IL6 oder Vernichtung von IL-2) eine immuntolerante Mikroumgebung erzeugen, die eine Infiltration von regulatorischen T-Zellen stimuliert, was wiederum die Funktion der zytotoxischen T-Zellen hemmt.

Vermutlich gibt es noch zahlreiche weitere Mechanismen, die aktuell noch nicht vollständig verstanden sind.

Welche Arten von Immuncheckpoint Inhibitoren gibt es?

Anti-PD-1Nivolumab, Pembrolizumab, Cemiplimab, Dostarlimab, Retifanlimab, Toripalimab, Tislelizumab
Anti-PD-L1Atezolizumab, Avelumab, Cosibelimab, Durvalumab
Anti-CTLA-4Ipilimumab, Tremelimumab
Anti-LAG-3/ Anti-PD-1Relatimab und Nivolumab

Und wie wirken nun diese Immuncheckpoint Inhibitoren?

PD-1 und PD-L1/2: Das programmed cell death protein (PD-1) ist ein Transmembranprotein, das auf T-, B- und NK-Zellen vorkommt. Es ist ein inhibitorisches Molekül, das an den programmed cell death ligand (PD-L1/2) bindet. PD-L1 kommt auf vielen Zelltypen, unter anderem auch auf Tumorzellen vor. Die Interaktion von PD-1 und PD-L1/2 hemmt direkt die Apoptose der Tumorzellen, führt zu peripherer T-Zell-Erschöpfung und zur Konversion von Effektor-T-Zellen zu regulatorischen T-Zellen.

CTLA-4: Das cytotoxic T-lymphozyte-associated Protein 4 wirkt wie eine Bremse bei der Co-Stimulation der CD8+ T-Zellen.

LAG3: Das lymphocyte activation gene 3 wird von B-, T- und NK-Zellen, sowie Tumor-infiltrierenden Lymphozyten exprimiert und behindert durch Bindung am MHCII die T-Zell-Differenzierung und -Proliferation. Durch Blockierung von LAG-3 wird die Funktion erschöpfter T-Zellen wiederhergestellt und ihre Fähigkeit die Tumorzellen anzugreifen erhöht.

Welche Arten von Toxizitäten/ Komplikationen/ Nebenwirkungen der Immuncheckpoint-Inhibitoren können auftreten?

Grundsätzlich hängt das Auftreten der Immune-Related Adverse Events, also Nebenwirkungen/ Komplikationen der Immuncheckpoint-Inhibitoren von der Art des Immuncheckpoint-Inhibitors, der behandelten Krebserkrankung und patient:inneneigenen Faktoren ab. Kombinationstherapien führen zu mehr immunvermittelten Nebenwirkungen als Monotherapien. Ein Faktor, der die Erkennung und Behandlung dieser Nebenwirkungen so schwierig macht ist, dass diese sowohl kurz nach Verabreichung der Therapie, als auch mit deutlicher Zeitverzögerung oder sogar nach Beendigung der Therapie auftreten können.

Im Folgenden soll es um die Komplikationen und Nebenwirkungen gehen, die schwerwiegend sind und denen Ihr außerhalb der Onkologie, also beispielsweise in der Notaufnahme oder auf der Intensivstation begegnen könnt.

Die Immuncheckpoint-Inhibitor assoziierten Komplikationen werden unabhängig vom betroffenen Organsystem in 4 Stadien eingeteilt:

  • Stadium 1: Asymptomatisch oder milde Symptome
  • Stadium 2: Moderate Symptome, in der Regel gut ambulant behandelbar
  • Stadium 3/4: Schwere, potentiell lebensbedrohliche Symptome, das sind die Komplikationen auf die wir uns hier konzentrieren werden

Für die genauere Stadieneinteilung der einzelnen Nebenwirkungen und die genauen Therapieempfehlungen (welches Immunsupressivum für welche Nebenwirkung, genaue Dosierungen etc.) möchte ich auf die sehr gute ASCO Guideline von 2021 verweisen. Und falls euch das Thema weiter interessiert, kann ich euch den sehr coolen, englischsprachigen Immunobuddies-Podcast wärmstens empfehlen.

Cutane Nebenwirkungen

Cutane Nebenwirkungen sind mit bis zu 71,5% relativ häufig, allerdings handelt es sich in den allermeisten Fällen hierbei um milde Nebenwirkungen. Die Inzidenz schwerer cutaner Nebenwirkungen (Stadium 3 oder 4) liegt bei ca. 3%. Zu den cutanen Nebenwirkungen zählen Ausschläge (häufig ekzematös oder psoriasiform), Juckreiz ohne Ausschlag, Verlust der Hautpigmentierung, aber auch lebensbedrohliche Erkrankungen wie das Stevens-Johnson-Syndrom, die Toxisch-Epidermale Nekrolyse oder exenthematöse Pustulose. Die initiale Behandlung schwerer cutaner Nebenwirkungen ist Prednisolon (oral) 1mg/kg/d. Spannenderweise ist das Auftreten cutaner Nebenwirkungen mit einem besseren Therapieansprechen assoziiert.

Gastrointestinale Nebenwirkungen

Neben den cutanen Nebenwirkungen zählen gastrointestinale zu den verbreitetsten Nebenwirkungen der Immuntherapie.

Die immuntherapieassoziierte Colitis ist mit einer Inzidenz zwischen 8-27% relativ häufig, die Inzidenz von Durchfällen unter Immuntherapie ist allerdings noch deutlich häufiger. Die Inzidenz einer Darmperforation liegt unter den Patient:innen mit einer Colitis bei ca. 1%. Eine immuntherapieassoziierte Colitis kann auch noch Monate nach der Beendigung der Immuntherapie auftreten und die Verwendung von NSAR ist mit einer erhöhten Inzidenz assoziiert.

Sowohl von der Symptomatik, als auch von den Befunden in Coloskopie, Bildgebung etc. gleicht die immuntherapieassoziierte Colitis sehr stark den chronisch entzündlichen Darmerkrankungen (CED). Die Patient:innen leiden häufig an starken, teils blutigen oder schleimigen Durchfällen und Bauchschmerzen. Am häufigste ist das Colon descendens betroffen. Wie auch bei den CED ist auch hier das Calprotectin im Stuhl erhöht, Vorsicht ist allerdings bei gastrointestinalen Tumoren als Grunderkrankung geboten, da das Calprotectin hier aufgrund der Entzündung durch den Tumor falsch hoch sein kann. Hinsichtlich der Therapie gibt es ebenfalls Parallelen zu den CED: Milde Verläufe kann man mit Budenosid behandeln, bei schweren Symptomen ist die initiale Behandlung Prednisolon 1-2mg/kg/d oder Methylprednislolon 1-2mg/kg/d. Ab Stadium 3 sollte man zusätzlich den Einsatz von Infliximab oder Vedolizumab (Biologica die auch bei den CED eingesetzt werden) erwägen.

Auch gastrointestinale Toxizitäten der Immuntherapie scheinen mit einem besseren Therapieansprechen assoziiert zu sein.

Entzündungen des oberen Gastrointestinaltrakts sind deutlich seltener als die Colitis, können aber auch mit der Colitis gemeinsam auftreten. Betroffene Patient:innen leiden häufig unter Dysphagie, Übelkeit, Erbrechen und epigastrischen Schmerzen. Die Therapie ist identisch mit der der immuntherapieassoziierten Colitis.

Eine Hepatotoxizität tritt bei Monotherapie mit Ipilimumab, Nivolumab oder Pembrolizumab mit einer Inzidenz von ca 2-10% auf. Bei Kombinationstherapien ist sie mit 25-30% deutlich häufiger und schwere Toxizitäten treten hier in bis zu 15% der behandelten Patient:innen auf. In der Regel kommt es zu einem Auftreten innerhalb der ersten 6-12 Wochen nach Therapiebeginn. Therapeutisch können Steroide eingesetzt werden, bei steroidrefraktären Verläufen ist Mycofenolat Mofetil das Medikament der Wahl. Infliximab wird aufgrund seiner Hepatotoxizität nicht empfohlen.

Es sind auch Fälle von immuntherapieassoziierten Pankreatitiden beschrieben, diese scheinen aber sehr selten zu sein.

Pneumonitis

Klinisch fällt eine immuntherapieassoziierte Pneumonitis in der Regel durch neu aufgetretenen – oder sich verschlechternden – Husten, Sauerstoffbedarf, Thoraxschmerzen und Fieber auf. In der Bildgebung zeigen sich Milchglasinfiltrate oder fleckige, noduläre Infiltrate, die vor allem in den Unterlappen auftreten. Die Inzidenz der Pneumonitis ist in verschiedenen Studien sehr variabel und liegt wahrscheinlich zwischen 2 und 10%. Patient:innen mit einem Melanom oder NSCLC als Grunderkrankung haben ein ca. 2% Risiko eine chronische Pneumonitis zu entwickeln, die auch nach >3 Monaten Steroidtherapie nicht verschwindet.

Neben der Bildgebung sollte man zur Sicherung der Diagnose eine Biopsie erwägen, um einerseits eine Lymphangiosis carcinomatosa auszuschließen und andererseits eine chronische Pneumonitis zu identifizieren, die eher einer organisiserenden Pneumonie gleicht.

Die initiale Therapie besteht in der Gabe von 1-2mg/kg/d Methylprednisolon. Bei >80% der Patient:innen kommt es unter der Steroidtherapie zu einer Besserung. Tritt nach >48h Steroidtherapie keine klinische Besserung auf, spricht man von einem steroidrefraktären Verlauf. Für die steroidrefraktären Verläufe wird zusätzlich Infliximab/ Mycophenolat Mofetil/ IVIG oder Cyclophosphamid empfohlen.

Endokrinologische Nebenwirkungen

Immuntherapie kann prinzipiell Nebenwirkungen an allen endokrinen Organen hervorrufen, einzig eine primäre ovarielle Dysfunktion ist bisher nicht beschrieben. Beschrieben sind beispielsweise Schilddrüsenüber- und Unterfunktionen, primäre Nebennierenrindeninsuffizienz, Hypophysitis und Diabetes mellitus. Die Symptome hängen stark vom betroffenen endokrinen Organ ab und können sehr unspezifisch und die Nebenwirkungen damit sehr schwer zu identifizieren sein. Die Inzidenz von von immuntherapie-assoziierten Endokrinopathien liegt bei ca. 10%.

Diagnostisch empfiehlt es sich die primären Hormone und die entsprechenden hypophysären Hormone, sowie die vollständige Hormonachse zu messen, um die genaue Lokalisation der Störung zu identifizieren und eine entsprechende Therapie einzuleiten. Erschwerend kommt allerdings hinzu, dass mit der zugrundeliegenden, schweren (Krebs-) Erkrankung auch hormonelle Veränderungen einhergehen, die die Identifikation der Störung verschleiern können.

Ein immuntherapie-assoziierter Diabetes mellitus kann sich entweder als sporadischer, neu auftretender Typ 1 Diabetes oder eine sich akut verschlechternde Blutzuckerkontrolle bei vorbestehendem Typ 2 Diabetes äußern. Häufig fallen diese Patient:innen mit einer diabetischen Ketoazidose auf. Bei immuntherapieassoziiertem Diabetes verbessert eine Immunsuppression das Outcome nicht, sodass eine Steroidtherapie nicht empfohlen wird. Meist ist eine Insulintherapie erforderlich. Metformin ist mit einer erhöhten Mortalität assoziiert und deshalb ebenfalls nicht empfohlen.

Bei einer primären Schilddrüsenproblematik werden ebenfalls keine Steroide empfohlen sondern lediglich eine Therapie der Hypo-oder Hyperthyreose, so wie bei anderen Ursachen auch.

Bei einer primären Nebennierenrindeninsuffizienz wird bei schwerer Symptomatik eine Steroid Stressdosis von 50-100mg Hydrocortison alle 6-8 Stunden empfohlen mit anschließendem Steroidtapering. Leider erholt sich die Nebennierenrindenfunktion in der Regel nicht und es wird meist eine Langzeittherapie mit Fludrocortison erforderlich.

Bei einer Hypophysitis kann bei schweren Symptomen ebenfalls eine Steroidstressdosis (s.o.) und eine orale Steroidstoßtherapie mit Prednisolon 1-2mg/kg/d bei Patient:innen mit Schwellung im MRT, N. opticus Kompression, Visisveränderungen oder starken Kopfschmerzen eingesetzt werden.

Neurologische Nebenwirkungen

Es gibt ein sehr breites Spektrum an neurologischen Syndromen, die durch die Immuntherapie ausgelöst werden können: Myasthenia gravis oder andere myasthene Syndrome, aseptische Meningitis oder Enzephalitis, Guillain-Barré-Syndrom-artige (GBS) Syndrome, periphere Neuropathien und demyelinisierende Multiple Sklerose-artige (MS) Erkrankungen. Die Inzidenz von neurologischen Nebenwirkungen liegt wahrscheinlich zwischen 6-12 %, die Inzidenz schwerer Nebenwirkungen allerdings bei <1%. Differentialdiagnostisch ist es wichtig eine ZNS-Beteiligung durch den Tumor selbst auszuschließen. Weitere Differentialdiagnosen sind Krampfanfälle, ZNS-Infektionen und metabolische Ursachen der neurologischen Symptome. Daher sollte man je nach Symptomatik ein MRT Kopf und/ oder Wirbelsäule erwägen; eine LP mit Zytologie, um eine leptomeningeale Tumorbeteiligung auszuschließen; ein EEG und bei peripheren Symptomen ggf. ein EMG und Nervenleitgeschwindigkeiten.

Bei immuntherapievermittelter Myasthenia Gravis besteht die initiale Therapie aus Pyridostigmin 30mg p.o. 3x täglich und Prednisolon 0.5mg/kg/d, bei schweren Fällen kann man IVIG oder Plasmapherese erwägen.

Im Gegensatz zum ideopathischen GBS werden Steroide beim immuntherapieassoziierten Guillain-Barré-Syndrom explizit empfohlen. Die aktuellsten Guidelines empfehlen Methylprednisolon 2-4mg/kg/d oder 1mg/kg/d wenn zusätzlich eine Therapie mit IVIG oder Plasmapherese erfolgt.

Bei schweren peripheren Neuropathien wird ebenfalls Methylprednisolon 2-4mg/kg/d empfohlen. Demyelinisierende Syndrome werden ebenfalls mit einer Steroidstoßtherapie mit 1mg/d Methylprednisolon behandelt. IVIG (intravenöse Immunglobuline) oder Plasmapherese sollten erwogen werden, wenn nach 3 Tagen keine klinische Besserung eintritt.

Bis zum Ausschluss einer infektiösen Ursache sollte bei aseptischer Meningitis/ Enzephalitis eine empirische Behandlung einer bakteriellen und viralen Meningitis erfolgen. Nach Ausschluss infektiöser Ursachen ist die Gabe von Methylprednisolon 1-2mg/kg/d die Therapie der Wahl.

Hämatologische Nebenwirkungen

Hämatologische Komplikationen sind insgesamt eher selten, es gibt aber wahrscheinlich aber auch eine sehr hohe Dunkelziffer, da gerade niedrigere Stadien häufig nicht erkannt werden. Hämolytische Anämien, erworbene thrombotisch-thrombozytopenische Purpura, hämolytisch-urämische Syndrome, aplastische Anämien, Lymphopenien, Immunthrombozytopenien und erworbene Hämophilien gehören zu den schwerwiegenden, potentiell lebensbedrohlichen hämatologischen Komplikationen der Immuntherapie. Für die Therapie der einzelnen Erkrankungen verweise ich auf die ASCO Guideline (s.o.).

Kardiovaskuläre Nebenwirkungen

Immuncheckpoint-Inhibitoren können eine Vielzahl kardialer und vaskulärer, teils akut lebensbedrohlicher Komplikationen hervorrufen.

Zu den kardialen Komplikationen gehören Myokarditis, Perikarditis, Arrythmien, akute Herzinsuffizienz mit kardiogenem Schock, akutes Koronarsyndrom, Reizleitungsstörungen und plötzlicher Herztod. Die Inzidenz kardialer Komplikationen liegt zwar bei <0.1%, diese sind aber häufig schwerwiegend und mit einer sehr hohen Mortalität assoziiert. Diagnostisch werden ein EKG, Echo und ggf. ein Herzkatheter empfohlen. An Laborparametern sollte man Troponin, CK-MB und BNP abnehmen.

Die vaskulären Komplikationen der Immuntherapie sind Thrombosen und Vaskulitiden. Die Inzidenz für Thrombosen liegt bei 8-30%, Vaskulitiden sind deutlich seltener. Meistens handelt es sich hierbei um Großgefäßvaskulitiden, es sind aber auch Fälle von ZNS-Vaskulitiden beschrieben.

Außer bei den Thrombosen kommen auch hier hochdosiert Steroide zum Einsatz, z.B. Methylprednisolon 1g/d. Kardiale Komplikationen sollten neben der Steroidtherapie ansonsten nach den sonst gängigen kardiologischen Guidelines behandelt werden. Bei den Thrombosen ist keine Steroidtherapie empfohlen, sondern lediglich eine Antikoagulation gemäß der Leitlinien für venöse Thrombosen.

Weitere relevante Nebenwirkungen

Muskuloskelettal: Arthritis, Myositis, Polymyalgia-artige Syndrome
Renal: Akutes Nierenversagen, eher selten
Okulär: Uveitis, Iritis, Episcleitis
Systemische Toxizitäten: Infusion-related reactions, reaktion auf die Infusion selbst, erhöhte Temperatur, Frösteln, Kopfschmerzen, Übelkeit, Tachykardie

Fazit

  1. Die Immuncheckpoint-Inhibitoren sind zwar die „Wunderwaffe“ der Onkologie und finden daher immer mehr Verbreitung, allerdings können sie durch Eingriff ins Immunsystem auch eine ganze Vielzahl an autoimmunen Komplikationen hervorrufen. Grob gesagt: Die meisten Autoimmunerkrankungen, die wir kennen können auch durch Immuntherapie ausgelöst werden.
  2. Das Wichtigste ist: Bei Patient:innen mit Immuntherapie IMMER daran denken!!
  3. Die Komplikationen können auch mit deutlichem Zeitverzug nach Beendigung der Therapie auftreten.
  4. Die initiale Behandlung schwerer Komplikationen besteht in der Regel aus Unterbrechung der Immuntherapie und hochdosierter Steroidgabe, sowie supportiven, wenn nötig intensivmedizinischen Maßnahmen.
  5. Holt euch aufgrund der Komplexität des Themas unbedingt schnellstmöglich Unterstützung von den Onkolog:innen eures Vertrauens.

Quellen

Chan KK, Bass AR. Autoimmune complications of immunotherapy: pathophysiology and management. BMJ. 2020 Apr 6;369:m736. doi: 10.1136/bmj.m736. PMID: 32253223.

Yan T, Yu L, Zhang J, Chen Y, Fu Y, Tang J, Liao D. Achilles‘ Heel of currently approved immune checkpoint inhibitors: immune related adverse events. Front Immunol. 2024 Feb 12;15:1292122. doi: 10.3389/fimmu.2024.1292122. PMID: 38410506; PMCID: PMC10895024.

Salem JE, Manouchehri A, Moey M, Lebrun-Vignes B, Bastarache L, Pariente A, Gobert A, Spano JP, Balko JM, Bonaca MP, Roden DM, Johnson DB, Moslehi JJ. Cardiovascular toxicities associated with immune checkpoint inhibitors: an observational, retrospective, pharmacovigilance study. Lancet Oncol. 2018 Dec;19(12):1579-1589. doi: 10.1016/S1470-2045(18)30608-9. Epub 2018 Nov 12. PMID: 30442497; PMCID: PMC6287923.

Kroschinsky F, Stölzel F, von Bonin S, Beutel G, Kochanek M, Kiehl M, Schellongowski P; Intensive Care in Hematological and Oncological Patients (iCHOP) Collaborative Group. New drugs, new toxicities: severe side effects of modern targeted and immunotherapy of cancer and their management. Crit Care. 2017 Apr 14;21(1):89. doi: 10.1186/s13054-017-1678-1. PMID: 28407743; PMCID: PMC5391608.

Gutierrez C, McEvoy C, Munshi L, Stephens RS, Detsky ME, Nates JL, Pastores SM. Critical Care Management of Toxicities Associated With Targeted Agents and Immunotherapies for Cancer. Crit Care Med. 2020 Jan;48(1):10-21. doi: 10.1097/CCM.0000000000004087. PMID: 31725440; PMCID: PMC7505092.

Schneider BJ, Naidoo J, Santomasso BD, Lacchetti C, Adkins S, Anadkat M, Atkins MB, Brassil KJ, Caterino JM, Chau I, Davies MJ, Ernstoff MS, Fecher L, Ghosh M, Jaiyesimi I, Mammen JS, Naing A, Nastoupil LJ, Phillips T, Porter LD, Reichner CA, Seigel C, Song JM, Spira A, Suarez-Almazor M, Swami U, Thompson JA, Vikas P, Wang Y, Weber JS, Funchain P, Bollin K. Management of Immune-Related Adverse Events in Patients Treated With Immune Checkpoint Inhibitor Therapy: ASCO Guideline Update. J Clin Oncol. 2021 Dec 20;39(36):4073-4126. doi: 10.1200/JCO.21.01440. Epub 2021 Nov 1. Erratum in: J Clin Oncol. 2022 Jan 20;40(3):315. doi: 10.1200/JCO.21.02786. PMID: 34724392.

Dine J, Gordon R, Shames Y, Kasler MK, Barton-Burke M. Immune Checkpoint Inhibitors: An Innovation in Immunotherapy for the Treatment and Management of Patients with Cancer. Asia Pac J Oncol Nurs. 2017 Apr-Jun;4(2):127-135. doi: 10.4103/apjon.apjon_4_17. PMID: 28503645; PMCID: PMC5412150.

Teilen und liken:

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert