Neuer Patient ? Von der Aufnahme auf die ITS

Über kurz oder lang wird es euch ereilen, wir nennen es das „First-Commander“-Telefon oder auch die Kümmerungshotline.
Auf diesem Telefon werden euch jeder Rettungsdienst, jeder Dienstarzt jeder Fachabteilung, die Pflege, die ZNA, im Zweifel irgendwelche Hausärzte oder auch gerne mal Ärzte anderer Krankenhäuser anrufen. Das Ziel des Anrufes ist immer das selbe, ihr sollt euch kümmern oder einen Patienten übernehmen. Kümmern kann man schon von Normalstation, kein Problem, ist es doch die Haupttätigkeit eines Assistenzarztes.

Aber entscheiden ob ein Patient Intensivpflichtig ist,  das ist eine ganz andere Hausnummer. Auf einmal seid ihr die letzte Instanz im Bereitschaftsdienst, Herr über die knappe Ressource Intensivbett, damit muss man erstmal leben lernen.

Ihr könntet es euch natürlich einfach machen und jede Übernahme auf die ITS oberärztlich besprechen, dafür wird euch allerdings euer Oberarzt spätestens nach dem zweiten Anruf hassen. Also muss ein Konzept her, wonach man entscheiden kann ob der Patient auf die ITS soll.

Wir haben da unseren eigenen Ansatz gefunden, der relativ simpel ist und aus drei Grundfragen besteht, die bei jeder potenziellen Übernahme auf die ITS ablaufen sollten. Natürlich ist dieser Ansatz sicherlich nicht perfekt und erhebt keinen Anspruch darauf der Weisheit letzter Schluss zu sein, aber wir können gut damit arbeiten. Wichtig hervorzuheben ist noch, dass er prinzipiell erstmal nur für Übernahmen aus der ZNA oder von der Normalstation gilt, wird ein Patient von extern über den Rettungsdienst angekündigt kommt es ganz auf die Struktur in eurem Haus an, ob ein ähnlicher Algorithmus ablaufen kann oder ob ihr den Kollegen erst einmal vertrauen müsst.

Nun aber ans Eingemachte, was sind unsere drei Kernfragen:

  1. Besteht formal eine ITS-Indikation ?
  2. Kann der Patient von einem ITS-Aufenhalt profitieren ?
  3. Möchte der Patient oder seine Angehörigen das überhaupt ?

Alle diese Fragen sind oft nicht so einfach zu beantworten, wie es auf den ersten Blick vielleicht scheint. Als Arzt vom Dienst (AvD) auf der ITS steht man oft im Spannungsfeld zwischen den Interessen des ZNA-Arztes, des AvD der Chirurgie oder der ITS-Pflege. Da ist im Zweifel Durchsetzungsvermögen gefragt.

Jetzt wollen wir einmal die einzelnen Fragen durchgehen und unsere Strategie zur Beantwortung derselbigen bzw. unsere Kriterien näher erläutern.

  1. Besteht formal eine ITS-Indikation ?

Das ist auf den ersten Blick leicht zu beantworten, auf den zweiten Punkt hängt es aber sehr von eurem spezifischen Krankenhaus ab.

In der reinen Lehre gibt es folgende zwingende ITS-Indikationen:

  • Mehr als ein Katecholamin
  • Invasive Beatmung oder ein anderes Organersatzverfahren
  • Krankheitsbild welches eine rapide Verschlechterung mit vitaler Bedrohung wahrscheinlich macht

Ist keine dieser Voraussetzungen erfüllt, ist der Patient formal ein IMC-Patient. Nehmen wir zum Beispiel den Patienten mit COPD GOLD 3000, der zum „NIVen“ auf die ITS soll. In der reinen Lehre ist das ein IMC-Patient, da keine invasive Beatmung besteht, wahrscheinlich keine Katecholamine erforderlich sind und als Monitoring nur regelmäßige BGAs erforderlich sind.

Wie gesagt, da kommt es dann aber sehr auf das eigene Haus an. In unserem Haus wird ein solcher Patient trotzdem zum ITS-Patienten, da auf unserer IMC eine nicht-Invasive Beatmung nicht möglich ist. Also ist Kriterium 1 für den Patienten in unserem Haus erfüllt.

Nichtsdestotrotz ist die formale ITS-Indikation für jeden Patienten immer kritisch zu prüfen, da die Ressource ITS-Bett oft knapp und teuer ist.

2. Kann der Patient von einem ITS-Aufenhalt profitieren ?

Jetzt wird es noch spannender und vor allem uneindeutiger. Jeder kennt Oma Brömmelkamp aus dem Pflegeheim ums Eck. Diese sucht in schöner Regelmäßigkeit (mindestens alle 4 Wochen) eure ZNA auf und hat wechselnde Infekte, ist Dement und liegt ehrlich gesagt nur im Bett, zumindest immer dann, wenn ihr sie seht.

Leider ist es dieses Mal, als euer Telefon klingelt, nicht der übliche Harnwegsinfekt, der Oma Brömmelkamp zu euch führt. Stattdessen hat sie sich, nachdem Sie vor ca. 6 Wochen einen ordentlich Stroke mit Hemiparese re. hatte,  eine saftige Pneumonie eingefangen.

Der ZNA-Arzt ist schon relativ panisch, weil die SpO2 unter 10l O2 über Maske nur bei 83 % rumdümpelt und Frau Brömmelkamp auch nicht richtig mit ihm spricht. Dazu sei die BGA „suboptimal“.

pH-Wert (7,35-7,45)
7,12
pCO2 (35-45 mmHG)
72
pO2 (65 – 100 mmHG)
53
Standard-Bicarbonat (22-26 mmol/l)
32
BE (-3 – +3 mmol/l)
-9

Tja, die BGA ist tatsächlich schlecht, ob eine NIV-Therapie hier reichen wird. Zu allem Überflüss nähern sich die Blutdruckwerte auch gefährlich der Katecholamin-Pflichtigkeit.

Also ja, rein von den Vitalwerten ist Frau Brömmelkamp ITS-pflichtig und wird davon auch wahrscheinlich profitieren. Aber wie ist das Outcome ? Ist das zielführend ?

Zu dieser Thematik wurde 2017 in der Intensive Care Medicine eine große Studie publiziert (Full-Text). Kernaussage des Ganzen: Abhängig von der Gebrechlichkeit des Patient vor der ITS-Aufnahme ist das Outcome, sprich je schlechter der Patient vorher zurecht, desto weniger wahrscheinlicher wird er mit einem guten Ergebnis die ITS wieder verlassen.

Bewährt hat es sich für uns, die Gebrechlichkeit eines Patienten noch in der ZNA einzuschätzen und darauf basierend die Entscheidung zur direkten Übernahme oder zur weiteren Eruierung des Patienten zu treffen. Möchte man das Ganz objektivieren kann man verschiedene Scores benutzen, empfehlenswert ist zum Beispiel die Clinical Frailty Scale (Link).

Also Kernaussagen:

  • formale ITS-Indikation steht
  • hoch betagte, gebrechliche + demente Patientin -> KRITISCH Prüfen
  • Schaut euch die Patienten im Zweifel selber vor der Übernahme an !


3. Möchte der Patient oder seine Angehörigen das überhaupt ?

Die vielleicht wichtigste Frage überhaupt ? Gerade im Fall von oben genannter Oma Brömmelkamp aber auch im Fall der COPD Gold 3000. Möchte der Patient eine invasive Beatmung ? Möchte der Patient eine Dialyse ?

Alles schwierige Fragen, die man klären muss. Eine der wichtigsten ärztlichen Aufgaben überhaupt ist es den Patientenwillen zu eruieren und den Patienten entsprechend zu behandeln. Nicht jeder möchte alles für sich oder seine nächsten Angehörigen.

Oft gibt es Patientenverfügungen, leider helfen diese aber auch nur begrenzt weiter. Jeder kennt diese schönen Formulierungen ala „wenn alles hoffnungslos ist, möchte ich keine intensivmedizinischen Maßnahmen“. Toll, wann ist denn alles hoffnungslos ? Wenn der Kopf ab ist oder andere sichere Todeszeichen vorliegen ?

Es bleibt einem also nichts übrig, man muss zum äußersten schreiten…. Patientenkontakt oder der nächsten Eskalationsstufe… Angehörigenkontakt. Gerade Berufsanfänger haben oft Angst vor diesen Gesprächen, wissen nicht wie man richtig fragt oder solche sensiblen Themen, wie Therapiebegrenzungen bespricht. 

Aber keine Sorge, JEDER kann das lernen. Allerdings gibt es auch kein tolles Patentrezept, bewährt hat es sich unserer Meinung nach, erfahrenere Kollegen bei kritischen Angehörigengesprächen zu begleiten und davon zu lernen.  Solltet ihr gleich zu Beginn solche Gespräche alleine führen müssen, holt euch Hilfe dazu, dass ist keine Schande und auch im Interesse des Patienten !

Wenn man nicht weiß, was man raten soll (Und man wird garantiert gefragt, was man empfiehlt, obwohl man das ja eigentlich gar nicht darf), dann hilft es sich zu fragen, was man tun würde wenn es sich um die eigenen Eltern handeln würde.

Es gibt allerdings auch eine Formulierung die man unbedingt vermeiden sollte. Stellt niemals die Suggestivfrage ob für den Patienten „alles getan werden soll“!

Die Antwort wird im Zweifel immer „JA“ lauten, weil man die Angehörigen oder auch den Patienten selber in eine absolute Zwangslage bringt. Direkt über Leben und Tod zu entscheiden, möchte ohne Bedenkzeit niemand !

Also noch einmal die Kernbotschaften, wenn jemand euch einen Patienten zur Übernahme anbietet.

  • Braucht der Patient die Intensivmedizin ?
  • Profitiert der Patient davon und möchte er das ?
  • Schaut euch die Patienten selber an und sprecht selber mit Patient oder Angehörigen !

Vielleicht habt ihr ganz andere Herangehensweisen oder Anregungen ? Wir freuen uns auf euer Feedback und jetzt einen ruhigen Dienst !

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