You’ll never miss the Milz until it’s gone – Milzruptur und Postsplenektomiesepsis

Fallbeispiel 1: Der 7-jährige Elias ist auf dem Heimweg von der Schule mit dem Fahrrad unterwegs. Seine Gedanken drehen sich um Ninjago als er das aus der Einfahrt kommende Auto übersieht. Der Stoßfänger erwischt sein Hinterrad und Elias fällt auf den Lenker und bleibt am Boden liegen. Als er von den Notfallsanitätern untersucht wird, gibt er Schmerzen im Bauch und der linken Schulter an. Es findet sich ein Hämatom am linkem Rippenbogen. Er ist etwas tachykard mit 140/min.

In der Klinik wird eine E-Fast Sonografie gemacht und der Verdacht einer Milzlazeration gestellt. Die Computertomografie bestätigt es dann. Elias hat eine Milzverletzung Grad III. Der junge Patient erhält Schmerzmittel und wird zur Überwachung auf die Intensivstation übernommen. Elias hat noch einmal Glück gehabt und die Milzruptur musste nicht operiert werden. Nach insgesamt 9 Tagen Überwachung im Krankenhaus darf er wieder nach Hause.

Was sind die Aufgaben der Milz?

Einerseits Blutfilter und andererseits Teil des Immunsystems. Die Milz speichert zudem Thrombozyten. Die Milz ist der primäre Ort für den Abbau der Erythrozyten. Im Immunsystem ist sie wichtig für die Abwehr bekapselter Erreger (Polysaccharid-Antigenen) und Parasiten. Nach einem Milzverlust zeigen sich verminderte IgM- und T-Lymphozyten-unabhängige Immunantwort.

AWMF-Leitlinie Traumatische Milzruptur in Kindesalter

Milzverletzungen:

Bei stumpfen Bauchverletzungen ist die Milz mit ca. 45 % das am häufigsten verletzte Organ. Meistens tritt sie bei Verkehrsunfällen auf. Dabei kann die Verletzung einzeitig (es kommt sofort zur Blutung in den Bauchraum bei Verletzung der Milzkapsel) oder zweizeitig (erst ist das Parenchym verletzt bei intakter Kapsel und nach einem symptomarmen Intervall kommt es zur Kapselruptur) erfolgen. Kinder sind besonders gefährdet, da die Bauchorgane durch die weichen Rippen und gering ausgebildeten weichen Bauchmuskeln weniger geschützt werden können.

Cave: Begleitverletzungen sind bei Kindern häufig (62 % gehen mit Frakturen, Thoraxverletzungen und SHT einher). Kinder können Volumenmangel lange kompensieren und dekompensieren dann sehr plötzlich.

Untersuchungen:

  • Prellmarke/Hämatome, Abwehrspannung, Druckschmerzen (Umfangmessungen sind von fraglicher Relevanz), Schmerzen linke Schulter (Kehr-Zeichen)
  • Vitalparameter, die AWMF-Leitlinie empfiehlt Hämatokritmessungen als aussagekräftigeren Marker im Vergleich zum Schockindex bei Kindern
  • Initial stündliche Sonografiekontrollen (Freie Flüssigkeit, Parenchymverletzungen können wegen gleicher Dichte von Hämatom und Parenchym schlecht differenziert werden) keine CT-Verlaufskontrollen empfohlen
  • CT ist Goldstandard, großzügige Indikation, Einteilung der Verletzung basiert auf der CT-Untersuchung
Tabelle: AAST-(American Association for the Surgery of Trauma)-Klassifikation der Milzverletzung nach Moore
  • Röntgen-Thorax um Begleitverletzungen auszumachen, ggf. CT-Thorax
  • (MRT bei hämodynamisch stabilen Kind, Contrast-enhanced ultrasound = CEUS hilfreich bei Verlaufskontrolle)

Therapie:

  • Intensivüberwachung (obligat ab Grad III-Verletzung) 48-72 h mit Bettruhe, danach 5-10 Tage stationäre Überwachung. Grad 1-2 Körperliche Schonung 4-6 Wochen, bzw. ≥ Grad 3 2-4 Monate
  • Ggf. Transfusion
  • Konservative Therapie in über 90 % der Milzrupturen möglich
  • Angiografie und Embolisation: bei Kindern Einzelfallberichte, bei Erwachsenen häufiger
  • Operative Therapie: bei hämodynamisch instabilen Patienten*innen (mit erhöhtem Transfusionsbedarf. Ziel sind milzerhaltende OP-Techniken (Splenorrhaphie = Rekonstruktion, Milzteilresektion, subtotale Splenektomie), Autotransplantation wird nicht mehr empfohlen.
  • Packing oder Splenektomie als letzte Möglichkeit.

Fallbeispiel 2: Frau Weber wird mit dem Rettungswagen in die Klinik gebracht. Die Patientin hat 39 °C Fieber und in der Nacht bereits Schüttelfrost bekommen. Sie fühlt sich schlecht. Die 55-jährige Patientin wirkt fast etwas weggetreten, als sie in der Notaufnahme untersucht wird. Schon bei der Triage und der Aufnahme der Vitalparameter, warnt der Computer, dass die q-SOFA-Kriterien und der NEWS-Score positiv für den Verdacht einer Sepsis bei der Patientin ausfallen. Sie hat etwas Husten und Auswurf, aber, ob das der Fokus der vermuteten Sepsis ist, kann keiner genau sagen. Die Patientin ist als Touristin in der Stadt und hat keine Unterlagen oder gar einen Medikamentenplan dabei. Aber einen Wochendispenser gefüllt mit ihren zahlreichen unbekannten Medikamenten (Pantozol konnte man erkennen 😊). Bei der Untersuchung fällt die Oberbauchnarbe auf und die Patientin hat einen Splenektomienotfallausweis.

Komplikationen nach Splenektomie/Milzverletzung

  • Verlängerte Schmerzen
  • Abszesse/Infektionen
  • Pseudozysten
  • Pseudoaneurysma der Milzarterie
  • Thrombosen

Postsplenektomiesepsis (OPSI = overwhelming postsplenectomy infection)

Fulminante Sepsis mit einer Letalität von bis zu 70 %. Rasche Verschlechterung innerhalb von Stunden. Unspezifische Beschwerden (Malaise, Fieber, Schüttelfrost, gelegentliche abdominelle Symptomatik) meist ohne erkennbaren Fokus.

Häufiger bei Kindern und Jugendlichen. Aber auch bei Erwachsenen ca. 10-fach erhöhtes Risiko. Infektionsrisiko vor allem in den ersten 2-3 Jahren nach Splenektomie erhöht (ca. 70 % der OPSI-Patienten). Aber auch noch 40 Jahre nach Splenektomie möglich.

Häufigste Erreger: Streptococcus pneumoniae (60 %), Haemophilus influenzae (30 %), Neisseria meningitidis, seltener Staph. aureus, E. coli und gramnegative Erreger.

Erregerdiagnostik anstreben (Blutkulturen, resp. Material, Liquor, Aszites, Pleurapunktat, ggf. PCR-Diagnostik), Malariaabklärung bei positiver Reiseanamnese

Therapie: Cephalosporine der 3. Generation (Ceftriaxon, Cefotaxim) initial + Gentamicin

Antibiotikaprophylaxe Kinder:

  • Nach Splenektomie 3- 5 Jahre Penicillin V (< 5 Jahre 2 x 200.000 IE/Tag, > 5 Jahre 2 x 400.000 IE/Tag) Anpassung an Allergie, bei schlechter Compliance Depotpenicillin, nach subtotaler Resektion Dauer individuell anpassen.
  • Stand-By Antibiotikatherapie bei unklarem Fieber Amoxicillin 50 mg/kg/Tag in 3 Dosen bei Tierbiss Amoxicillin/Clavulansäure für 5 Tage.
  • Aufklärung der Kinder und Eltern bei Anzeichen einer Infektion/Sepsis sofortige Antibiotikatherapie zu starten: infektiologischer Notfall (!) Notffallausweis ausstellen.

Thromboseprophylaxe nach Splenektomie

Temporäre Thrombozytose

Low-dose-Heparinisierung evtl. postoperativ, Gefahr der vaskulären Komplikationen (Thromboembolien, Pfortaderthrombose, pulmonal-arterielle Hypertonie)

Immunisierung:

Robert Koch Institut: Impfungen bei Asplenie (Entfernung der Milz oder Ausfall der Organfunktion)

2 – 4 Wochen postoperativ Haemophilus influenzae-b-, Meningokokken- (4 valenter Konjugatimpfstoff), Pneumokokkenimpfung (Konjugat-, gefolgt von Polysaccharidimpfstoff), Grippeimpfung (Kinder >6 Monate, jährlich bei Gefahr der bakteriellen Superinfektion). Impferfolg geringer nach Splenektomie.

Bei elektiver Splenektomie sollten 14 Tage vor dem Eingriff die Immunisierungen abgeschlossen sein. Es gibt in Deutschland keine generelle Empfehlungen zu Wiederholungsimpfungen, außer der jährlichen Grippeimpfung. HIB geht man von lebenslangen Impfschutz aus. Bezüglich der Pneumokokken liegen keine Daten vor, aber „es erscheine plausibel nach 6 Jahren aufzufrischen“.

Andere Erkrankungen, die mit Funktionsstörungen der Milz einhergehen:

  • Funktionelle Asplenie bei Sichelzellanämie
  • Elektive Splenektomie bei bestimmten hämolytischen Anämien, hereditärer Sphärozytose, autoimmun-hämolytischer Anämie, ITP, Hypersplenie-Syndrom, Neoplasien der Milz, andere Ursachen der Splenomegalie

Anderes:

  • Howell-Jolly-Körperchen sind DNA-Reste in den Erythrozyten. Diese tauchen nach Splenektomie auf. Ein Fehlen kann auf eine Restmilz oder Nebenmilz hinweisen. Sensitiver ist aber die Phasen-Interferenz-Mikroskopie sogenannter Pitted-Erythrocytes.
  • Schwere Malariafälle sind nach Splenektomie möglich (Prophylaxe und Beratung in der Reisemedizin).

Punchlines:

  • Sehr viele Milzverletzungen können heutzutage konservativ behandelt werden.
  • Nach Splenektomie Antibiotikaprophylaxe, Thromboseprophylaxe und Immunisierung bedenken (Notfallausweis + Aufklärung).
  • Die Postsplenektomiesepsis (genauso bei funktioneller Asplenie) kann rasch tödlich enden.

Referenzen:

AWMF-Leitlinie Traumatische Milzruptur in Kindesalter

Robert Koch Institut: Impfungen bei Asplenie (Entfernung der Milz oder Ausfall der Organfunktion)

Onkopedia: Asplenie und Hyposplenismus (früher: Prävention von Infektionen und Thrombosen nach Splenektomie oder funktioneller Asplenie)

Therapeutisches Vorgehen bei der stumpfen Milzverletzung, C. Weitzel, D. Veit, C. Güsgen, S. Waldeck, R. Schwab Chirurgische Praxis 84, 1–14 (2018)

Etwas zu spät gefunden, haben die Nerdfallmediziner auch mal einen „Nerdfall“ zu dem Thema gebracht. Schaut ruhig hier auch mal vorbei: https://nerdfallmedizin.blog/2020/12/14/nerdfall-nr-07-teil-2-opsi-syndrom-die-super-sepsis/

Videos:

Laparoskopische Splenektomie bei Splenomegalie

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