Ernährung auf der Intensivstation 2.0 und Refeeding-Syndrom

Für die Basics siehe Hauptfolge Mai 2020

Disclaimer: Insgesamt ist die Evidenz auf diesem Gebiet eher dünn, es gibt kaum große RCTs, daher haben wir die gängigen Leitlinien zu dem Thema (Deutsche Gesellschaft für Ernährungsmedizin: DGEM-Leitlinie, Britisches Leitlinie: NICE-Guideline, European sosiety for intensive medicine: ESCIM-Guideline, American society for parenteral and enteral nutrition ASPEN-Guideline) für euch zusammengefasst.

Ernährung auf der Intensivstation ist ein sehr häufig vernachlässigtes Thema, das neben den oft lebensbedrohlichen Problemen der Intensivpatient*innen untergeht. Deshalb ist es besonders wichtig daran zu denken! Idealerweise sollte die Ernährung anhand eines, an die örtlichen Gegebenheiten angepassten Protokolls durchgeführt werden, das stellt eine adäquate Ernährung sicher und entbindet die Ärzt*innen davon sich bei jede*r Patientin wieder von Grund auf Gedanken über dieses Thema machen zu müssen (dass die Ernährung an die individuellen Patient*innen angepasst werden muss s.u., sollte klar sein…).

Um welche Patient*innen geht es?

Kritisch kranke Patient*innen auf einer Intensivstation sind ein sehr inhomogenes Patient*innenklientel. “Kritisch krank” ist eine grobe Verallgemeinerung zahlreicher unterschiedlicher Erkrankungen mit großer individueller Varianz. Die DGEM-Leitlinie definiert “kritisch kranke Patiet*innen” als Patient*innen, die an mindestens einer akut medikamentös oder mechanisch unterstützungswürdigen Organdysfunktion leiden. Die Ernährung ist immer eine Ergänzung zur spezifischen Therapie der “kritischen Erkrankung” und muss ggf. an den/ die individuelle Patient*in und ihre krankheitsspezifischen Bedürfnisse angepasst werden.

In welchen Stadien verlaufen “kritische Erkrankungen” und warum ist das für die Ernährungstherapie wichtig?

Unabhängig von der zugrunde liegenden Erkrankung laufen alle “kritischen Erkrankungen” in den folgenden Stadien mit den jeweils zugehörigen Stoffwechsellagen ab:

  1. Homöostasestörung: Der Beginn der Homöostasestörung ist das auslösende Ereignis z.B. Polytrauma,Operation, Myokardinfarkt, Beginn der Sepsis
  2. Akutphase (ca. 7 Tage)
    1. frühe Akutphase (ca. 1-3 Tage)
      • kann bei sehr schwerer Homöostasestörung tödlich verlaufen
      • ist gekennzeichnet durch eine schwere oder zunehmende Organdysfunktion und progrediente Inflammation
      • katabole Stoffwechsellage mit Glukoneogenese/ Glykogenolyse in der Leber, Proteolyse der Muskulatur und Lipolyse des Fettgewebes zur endogenen Substratproduktion, häufig insulinresistente Hyperglykämie
    2. späte Akutphase (2-4 Tage) nach Überleben der frühen Akutphase
      • gekennzeichnet durch eine stabile oder sich bessernde Organdysfunktion und regrediente Inflammation
      • katabol-anabole Stoffwechsellage
  3. Postakutphase
    1. Rekonvaleszenzphase (>7 Tage)
      • gekennzeichnet durch eine weitgehend wiederhergestellte Organdysfunktion und Resolution der Inflammation
      • anabole Stoffwechsellage
    2. Rehabilitationsphase (mehrere Monate, findet typischerweise nicht mehr auf der Intensivstation statt), anabole Stoffwechsellage, erhöhter Energiebedarf zum Wiederaufbau der Muskulatur ODER chronische Phase (zeitliche Dauer unklar) mit persistierendem Organversagen und ungewisser Prognose, ggf. sekundär letaler Ausgang (z.B. bestehende schwere Herzinsuffizienz nach Myokardinfarkt)
      • persistierende Organdysfunktion und Immunsuppression, katabole Stoffwechsellage

Achtung! Hierbei ist wichtig zu beachten, dass bei jeder erneuten Homöostasestörung (z.B. neue Sepsis) der Prozess wieder mit der Akutphase beginnt! Aufgrund der unterschiedlichen Stoffwechsellagen und des ggf. schnell wechselnden Krankheitsstadiums muss die Ernährungstherapie der aktuellen Krankheitsphase angepasst werden um eine Über-/ Unterernährung zu vermeiden.

Wie beurteilt man den Ernährungszustand der Patient*innen bei Aufnahme auf die Intensivstation?

Die Leitlinien empfehlen, dass der Ernährungszustand von allen Intensivpatient*innen bei Aufnahme evaluiert werden sollte, da dieser sowohl prognostische -(Morbidität und Mortalität) als auch therapeutische Relevanz hat. Bezüglich der Prognose fanden Mogensen et al., dass Patient*innen mit Protein-Energie-Mangelernährung im Vergleich zu Patient*innen ohne Mangelernährung ein doppelt so hohes Mortalitätsrisiko haben. Hierbei ist jedoch unklar, ob der Ernährungszustand anderen Prognosefaktoren wie APACHE, SOFA etc. überlegen ist.

Es gibt zahlreiche Scores/ Methoden zur Beurteilung des Erhährungszustandes:

  • Der NUTRIC-Score wurde nicht zur Bestimmung des Ernährungszustands entwickelt, kann aber gut dafür eingesetzt werden, es ist jedoch unklar ob die Berechnung des Scores therapeutische Relevanz besitzt. Die deutsche Leitlinie empfiehlt den NUTRIC Score nicht, amerikanische Leitlinie empfiehlt trotz der schwachen Evidenz Intensivpatient*innen mit dem NUTRIC-Score zu screenen.
  • Die DGEM-Kriterien zur Diagnose einer krankheitsspezifischen Mangelernährung werden von der deutschen Leitlinie zum Screening empfohlen:
    • BMI<18,5 kg/m2 ODERungewollter Gewichtsverlust >10 % in den letzten 3-6 Monaten
    • ODER BMI <20 kg/m2 und ungewollter Gewichtsverlust >5 % in den letzten 3-6 Monaten
    • ODER Nahrungskarenz > 7 Tage
    • ODER reduzierte Energieaufnahme ≤ 75 % des geschätzten Energiebedarfs für ≥ 1 Monat bei gleichzeitigem Vorliegen einer subklinischen, milden oder mäßigen chronischen Inflammation vor Auftreten der Homöostasestörung
    • ODER verminderte Muskelmasse (Armmuskelfläche <10. Perzentile oder Kreatinin-Größen-Index (= 24-h-Urin-Kreatininausscheidung eines Patienten bezogen auf den Erwartungswert eines normalen Erwachsenen gleicher Körpergrösse) <80%)
  • Der BMI ist einfach und praktisch anzuwenden und relevant für Steuerung der Ernährungstherapie (s.u.)
  • Das Subjective Global Assessment (SGA) wird  ebenfalls von der deutschen Leitlinie zum Screening empfohlenDas Nutritional Risk Screening (NRS) ist für Intensivpatient*innen nicht geeignet, da bei schwerer Erkrankung die Punktzahl für das Risiko einer Mangelernährung bereits erreicht ist

Wann und wie sollte die Ernährung begonnen werden?

Bei Patient*innen, bei denen eine bedarfsdeckende orale Ernährung innerhalb der frühen Akutphase nicht absehbar ist, sollte innerhalb von ca. 24h nach Aufnahme eine Ernährung begonnen werden. Es gibt keine RCTs, die die frühe Ernährung in der Akutphase mit einer absoluten Kalorienabstinenz vergleichen, dennoch wird auf Basis der aktuell vorhandenen Beobachtungsstudien von den Leitlinien eine frühe enterale Ernährung empfohlen.

Wie wird der Kalorienbedarf von Intensivpatient*innen festgelegt?

Der Energieumsatz von Intensivpatient*innen ist nicht konstant, sondern weist je nach Krankheitsphase (s.o.) und -verlauf große intra- und interindividuelle Schwankungen auf. Die Leitlinie empfiehlt, dass deshalb zur möglichst genauen Abschätzung des Kalorienbedarfs wenn verfügbar eine indirekte Kalorimetrie eingesetzt werden sollte. Ist keine Kalorimetrie verfügbar, wie in den meisten Häusern, wird der Energieumsatz folgendermaßen geschätzt:

Akutphase:

  • bei nicht adipöse (BMI <30kg/m2) Patient*innen beträgt das kalorische Ziel in der Akutphase 24kcal/kg aktuelles Körpergewicht (KG)/Tag
    • aktuelles KG = KG dass vor der Homöostasestörung vorlag
    • CAVE! klinisch evidente Ödeme/ Aszites/ Ergüsse müssen abgezogen werden
    • Die Ernährung sollte mit  75% des gemessenen oder geschätzten Energieumsatzes (= 18kcal/kg KG) begonnen und dann schrittweise gesteigert werden
  • adipöse Patient*innen (BMI ≥ 30 kg/m2) sollten hypokalorisch bei gleichzeitig hoher Proteinzufuhr ernährt werden
    • das Ziel ist die Verringerung der Proteinkatabolie und Verbesserung der Insulinresistenz durch Reduktion der Körperfettmasse
    • wird eine Kalorimetrie verwendet, ist das Kalorienziel in der Akutphase 60% des gemessenen Energieumsatzes
    • BMI 30-50 kg/m2: 11-14 kcal/ kg aktuelles KG/ Tag
    • BMI >50 kg/m2: 22-25 kcal/ kg ideales KG/ Tag → Idealgewicht (kg) = 48,4 + 77,0 (Körpergröße-1,50 m)
    • Proteinziel: 1,5 g/kg (bzw. 1,8 g/kg Aminosäuren)  / Tag
  • die Ernährung sollte schrittweise entsprechend der individuellen metabolischen Toleranz (s.u.) gesteigert werden, sodass zum Ende der Akutphase 100% des Kalorienziel erreicht sind
  • für mangelernährte Patient*innen gelten die selben Grundsätze wie für nicht-mangelernährte Patient*innen, allerdings sollte hier besonders auf die individuelle metabolische Toleranz, sowie das Entstehen eines Refeeding-Syndroms (s.u.) geachtet werden

Rekonvaleszenzphase:

  • nicht adipöse Patient*innen: schrittweise Steigerung bis auf 36 kcal/kg aktuelles KG/Tag anhand der individuellen metabolischen Toleranz s.u.

Achtung! Ein Pitfall ist, dass bei den Produkten für parenterale Ernährung nur die Nicht-Protein-Kalorien angegeben sind, bei den Produkten für eine enterale Ernährung hingegen die Gesamtkalorienzahl angegeben ist. Bei der Berechnung der Kalorien sollten immer die Gesamtkalorien (also inklusive Protein-Kalorien) einbezogen werden!

Zusätzlich sollte man beachten, dass Intensivpatient*innen auch Kalorien außerhalb der Ernährung zugeführt werden z.B. durch Propofol oder das Tri-Natrium-Citrat bei der Citratdialyse. Propofol 1% hat eine Energiedichte von 1 kcal/ml, daher entspricht z.B. Propofol 2% bei einer Laufrate von 20ml/h insgesamt immerhin 432 kcal/d ! Das bei der Citratdialyse eingesetzte Tri-Natrium-Citrat wird im Citratzyklus metabolisiert und in Energie umgesetzt. Wie viel Energie durch die Dialyse bereitgestellt wird, hängt vom Blutfluss und Dialysatfluss ab.

Warum ist eine Anpassung an die individuelle metabolische Toleranz notwendig und wie funktioniert sie?

Das Ziel der Ernährung in der Akutphase ist, durch exogene Substratzufuhr die endogene Substratproduktion, vor allem den Verbrauch von Muskelproteinen, zu minimieren. Allerdings lässt sich selbst bei aggressiver Ernährungstherapie die endogene Substratproduktion nicht stoppen! Das Problem, dass sich dadurch ergibt, ist dass die Summe aus exogener und endogener Substratzufuhr zu einer Hyperalimentation mit metabolischen Nachteilen wie Hyperglykämie, Insulinresistenz etc. führen kann. Daher liegt in der Akutphase die metabolisch tolerierte Energiezufuhr häufig unter dem gemessenen/ errechneten Energieumsatz!

Es gibt 2 leicht zu messende Parameter für die metabolische Toleranz: der Blutzucker und der daraus resultierende Insulinbedarf, und die Plasmaphosphatkonzentration als Surrogatparameter für das Refeeding-Syndrom (s.u.) Bei Zeichen einer metabolischen Intoleranz (Intoleranz (BZ >180 mg/dl trotz Insulinzufuhr >4 IE/h, Plasmaphosphatkonzentration <0,65 mmol/l) sollte die Zufuhr soweit reduziert werden, bis eine Toleranz erreicht bzw. keine Phosphat-Supplementierung mehr notwendig ist. Ist die Intoleranz durch Reduktion nicht beherrschbar kann eine Pausierung der Ernährung und/ oder eine weitere Steigerung der Insulinzufuhr zur Blutzuckerkontrolle notwendig sein.

In der DGEM-Leitlinie gibt es ein sehr schönes, praxisnahes Flowchart zur Steuerung der Ernährung anhand des Insulinbedarfs.

Schema zur Steuerung der Substratzufuhr nach Insulinresistenz anhand der Insulinresistenz nach DGEM Leitlinie

Ein weiterer wichtiger Parameter zur Steuerung der Ernährung in der Akutphase ist das Serumphosphat als Surrogatparameter zur Erkennung eines Refeeding-Syndroms (s.u.), auch hierzu gibt es in der DGEM-Leitlinie ein schönes Schaubild:

Schema zur Steuerung der Substratzufuhr nach Insulinresistenz anhand des Phosphatspiegels nach DGEM Leitlinie

Liegt eine Hypophosphatämie (<0,65 mmol/l) vor, sollte die Ernährung auf ein Minimum reduziert werden (5-6 kcal/kg aktuelles KG/d) und Phosphat und alle weiteren essentiellen Vitamine/ Spurenelemente (siehe Refeeding-Syndrom) substituiert werden.

Erst bei nicht mehr substitutionspflichtigen Serumphosphatkonzentrationen sollte die Ernährung vorsichtig wieder gesteigert werden. Eine Steuerung der Ernährung anhand der Phosphatkonzentration ist bei Patient*innen mit Nierenersatzverfahren nicht möglich.

Sind sowohl Insulinbedarf erhöht, als auch die Serumphosphatkonzentration erniedrigt sollte die Ernährung nach dem Parameter gesteuert werden, der die größere Anpassung erfordert.

Warum ist das Phosphat relevant – Refeeding Syndrom

Was ist das Refeeding-Syndrom?

Das Refeeding-Syndrom ist eine potentiell tödliche Umverteilung von Wasser und Elektrolyten bei mangelernährten Patient*innen bei enteralem/ parenteralem Ernährungsaufbau.

In der Phase der fehlenden oder ungenügenden Nährstoffzufuhr stellt der Körper von der Energiegewinnung durch (exogen zugeführte Kohlenhydrate) auf die Verbrennung (körpereigener) Proteine und Fette um. Hierbei findet in der Leber Gluconeogenese und Ketonsynthese zur Versorgung der obligat glukoseabhängigen Organe statt. Dadurch kommt es zum Abbau von Fettgewebe und Muskulatur mit Verlust von Zellmasse und dadurch zum Verlust der intrazellulären Elektrolyte Phosphat, Magnesium und Kalium. Wichtig ist: die Serumkonzentrationen der Elektrolyte ändern sich kaum, da die freigesetzten Elektrolyte aufgrund der Mangellage sofort vom Körper verbraucht werden.

Nach Sicherstellung der exogenen Kohlenhydratzufuhr kommt es wieder zu einer anabolen Stoffwechsellage. Dadurch werden im Körper verschiedene Stoffwechselprozesse angestoßen:

Durch die steigende Insulinkonzentration wird Glukose durch Glykolyse zu Pyruvat abgebaut und dabei ATP (Adenosintriphosphat) gebildet. Die Bildung von ATP verbraucht (wie der Name schon nahe legt…) viel Phosphat. Dadurch kommt es zu einer Hypophosphatämie, sowohl im Serum als auch intrazellulär. Der Phosphatmangel führt zu einer verminderten Kontraktilität von glatter und quergestreifter Muskulatur inklusive Herz und Atemmuskulatur! (Symptome s.u.)

Außerdem wird im Citratzyklus Thiamin als Koenzym verbraucht. Hier kommt es ebenfalls schnell zu einem Mangel, da der Körper nur über begrenzte Speicherkapazitäten verfügt. Schwere Ausprägungen des Thiamin-Mangels können zu Wernicke-Enzephalopathie und Beriberi führen. Außerdem ist Thiamin essentiell für den vollständigen Ablauf des Citratzyklus. Fehlt Thiamin, so wird Pyruvat zu Laktat umgewandelt und es kann zu einer Laktatazidose kommen.

Insulin aktiviert zudem einen Glukosetransporter, der Glukose, Kalium und Magnesium nach intrazellulär transportiert. Dies hat eine Serum-Hypokaliämie und -Hypomagnesiämie zur Folge und kann zu neuromuskulären Störungen und Herzrhythmusstörungen führen.

Zudem stimuliert Insulin die Natrium- und Wasserretention und begünstigt zusammen mit der, durch die Hypophosphatämie verringerte Kontraktilität eine kardiale Dekompensation.

Ein Refeeding-Syndrom kann zu einer ganzen Bandbreite an unterschiedlichen Syptomen in den unterschiedlichsten Organsystemen führen. Die häufigsten sind Tachykardie, Tachypnoe und Ödeme.

  • Kardial: Hypo-/Hypertonie, Kardiomyopathie, Herzinfarkt
  • Pulmonal: Lungenödeme, Atemnot
  • Neurologisch: Schwäche, Parästhesien, Benommenheit, Bewusstlosigkeit, Ataxie, Tremor, Schwindel, Tetanie, Rhabdomyolyse, Myalgie
  • Hämatologisch: Thrombozyten-, Leukozytendysfunktion, hämolytische Anämie
  • GIT: Obstipation, Abdominalschmerzen, Diarrhoe, Appetitlosigkeit, paralytischer Ileus
  • Renal: Nierenfunktionsstörungen
  • Endokrinologisch: metabolische Alkalose, Glukoseintoleranz, Hypernatriämie, Ketoazidose, metabolische Azidose

Welche Patient*innen haben ein erhöhtes Risiko ein Refeeding-Syndrom zu entwickeln?

Auch hier gibt es eine Vielzahl begünstigender Faktoren und Vorerkrankungen.

  • Klinische Kriterien/ Vorerkrankungen
    • Patient*innen mit Anorexia nervosa
    • Patien*innen mit Alkoholabusus
    • Patient*innen mit Krebserkrankungen
    • postoperative Patient*innen
    • geriatrische Patient*innen (Komorbiditäten, eingeschränkte physiologische Reserven)
    • Patient*innen mit nicht/ schlecht eingestelltem Diabetes mellitus (Elektrolytmangel, Polyurie)
    • Patient*innen mit chronischer Malnutrition: Marasmus (= Erkrankung der chronischen quantitativen Mangelernährung),Patient*innen mit großem physiologischem Stress, die >7 Tage nicht ernährt wurden/ sich nicht ernähren konnten, krankhaftes Übergewicht mit viel Gewichtsverlust, längere Nüchternheit oder kalorienarme Ernährung
    • Syndrome mit Malabsorbtion (Entzündliche Darmerkrankungen, chronishe Pankreatitis, Zystische Fibrose, Kurzdarmsyndrom)
    • Patient*innen mit Antacida in der Hausmedikation
    • Patient*innen mit Diuretika in der Hausmedikation
  • Kriterien der NICE-Guidelines
    • Patient*innen, auf die eines der folgenden Kriterien zutrifft
      • BMI <16
      • ungeplanter Gewichtsverlust >15% in den vergangenen 3-6 Monaten
      • wenig oder keine Nahrungsaufnahme für > 10 Tage
      • niedriges Serumphosphat, -kalium oder -magnesium vor Beginn der Ernährung
    • Patient*innen auf die zwei oder mehr der folgenden Kriterien zutreffen
      • BMI<18,5
      • ungeplanter Gewichtsverlust >10%in den letzten 3-6 Monaten
      • wenig oder keine Nahrungsaufnahme für >5 Tage
      • Alkoholabusus oder Chemotherapie in der Vorgeschichte, Antacida oder Diuretika in der Hausmedikation

Wie kann man der Entstehung eines Refeeding-Syndroms vorbeugen?

Wie oben erläutert kann ein Refeeding-Syndrom zahlreiche unterschiedliche Symptome machen, die ggf. auch durch durch die Grunderkrankung z.B. Sepsis erklärt werden können und sehr viele Patient*innen, die auf der Intensivstation behandelt werden weisen Risikofaktoren auf. Deshalb ist der wichtigste Schritt zur Erkennung eines Refeeding Syndroms: Daran denken! Wenn möglich sollten Patient*innen bei Aufnahme auf die Intensivstation nach den o.g. Kriterien gescreent werden, da ein erhöhtes Risiko manchmal (z.B. massiver Gewichtsverlust bei Adipositas) nicht offensichtlich ist.

Bei Patient*innen mit einem hohen Refeeding-Risiko sollte die Ernährung vorsichtig gestartet (50% des Energiebedarfs, max. 10kcal/kg aktuelles KG/Tag) und streng nach metabolischer Toleranz s.o. gesteigert werden. In extremen Fällen z.B. BMI<14 sollte die Ernährung mit 5kcal/kgKG/Tag begonnen werden.

Patient*innen mit hohem Refeeding-Risiko sollten aufgrund des hohen Risikos für Herzrhythmusstörungen monitorüberwacht werden.

In den ersten 10 Tagen nach Beginn der Ernährungstherapie sollten folgende Vitamine/ Spurenelemente/ Elektrolyte substituiert werden: Thiamin, Vitamin B, Multivitamin/ Spurenelement-Präparat, Phosphat (je nach Serumspiegel), Magnesium (je nach Serumspiegel), Kalium (je nach Serumspiegel).

Was ist die Therapie des Refeeding-Syndroms?

Die wichtigste Maßnahme ist eine Reduktion oder ggf. Pausierung der Ernährung (siehe Flowchart) bis keine Phosphatsubstitution mehr notwendig ist. Zudem sollten Phosphat, Magnesium und Kalium wenn notwendig substituiert werden. Auftretende Komplikationen müssen natürlich therapiert werden.

Enterale vs. parentrerale Ernährung

Wann immer möglich sollte eine orale Ernährung (selbstständiges/ assistiertes Essen/ Trinken) immer bevorzugt werden! Essen und trinken erfüllt neben der reinen Ernährung noch zahlreiche andere wichtige Funktionen (Erhalt der Autonomie, Trainieren des Schluckens, Lebensqualität etc.)! Ist oral eine ausreichende Zufuhr nicht möglich, kann die orale Ernährung durch andere Ernährungsformen (enteral/ parenteral) ergänzt werden. Auch orale Spezialnahrung (z.B. Fortimel) oder angereicherte Nahrung (z.B. Proteinpulver) sind eine gute Option um eine adäquate Ernährung sicherzustellen, falls Patient*innen nicht in der Lage sind ihren Bedarf durch orale Nahrungszufuhr zu decken.

Eine viel geführte Diskussion ist die der Überlegenheit oder Gleichwertigkeit der enteralen gegenüber der parenteralen Ernährung. Hierbei geht es einerseits um Morbidität und Mortalität und andererseits um die Ernährung der Darmzotten. Glaubt man der aktuellen Studienlage, ist auch parenterale Ernährung intestinal wirksam. Es konnte gezeigt werden, dass auch parenterale Ernährung die intestinale Zellerneuerungsrate und Proteinsyntheserate steigern und die Apoptoserate verringern kann. Allerdings werden wahrscheinlich bei einer parenteralen Ernährung vor allem die Krypten ernährt, da sich die Zotten und die Darmflora fast ausschließlich von intraluminal ernähren. Es gibt dennoch bisher keine guten Studien, die die Überlegenheit einer „Zottenernährung“ gegenüber einer rein parenteralen Ernährung zeigen konnten.

Insgesamt kann man sagen, dass es wahrscheinlich keinen Mortalitätsunterschied zwischen enteraler und parenteraler Ernährung gibt, in einer Studie von Elke et al. konnte allerdings gezeigt werden, dass eine enterale Ernährung zu einer signifikanten Reduktion infektiöser Komplikationen führt. Aufgrund dieser Daten schlussfolgern die Leitlinien, dass trotz vermutlich gleicher Prognose eine enterale Ernährung bevorzugt werden sollte.

Kontrainidikationen für eine enterale Ernährung sind:

  • schwere intestinale Dysfunktion: unkontrollierte gastrointestinale Blutungen, gastrales Residualvolumen >500 ml/6h, Mesenterialischämie, High-Output-Fistel ohne distalen Zugang zur Ernährung, paralytischer/ mechanischer Dünndarmileus, schwere anhaltende Durchfälle
  • chirurgische Kontraindikationen z.B. Z.n. Whipple-OP, zur Abheilung der Anastomosen
  • hämodynamische Instabilität (hohe oder steigende Dosen an vasoaktiven Medikamenten z.B. Noradrenalin ≥ 0,5 ug/kg/min), Beginn der enteralen Ernährung erst ab hämodynamischer Stabilisierung  (fallende oder konstante Katecholamindosen, fallendes Laktat), dann zunächst mit minimaler Zufuhrrate (<25 kcal/h = Zottenernährung)

KEINE Kontraindikationen für eine enterale Ernährung ist hingegen eine Katecholamintherapie (außer s.o.), Bauchlage, ein offenes Abdomen und NIV, sofern ausreichend Schutzreflexe vorhanden sind. Auch gastrale Passagestörungen sind keine Kontraindikation, da diese über einen jejunalen Zugangsweg (PEJ) gut überbrückt werden können.

Grundsätzlich sollte der gastrale- dem jejunalen Zugang wenn möglich vorgezogen werden, da dieser der Physiologie des Gastrointestinaltrakts eher entspricht. Der jejunale Zugang ist jedoch eine sehr gute Lösung bei Patient*innen mit hohem Aspirationsrisiko oder hohem gastralem Reflux durch eine gastrale Passagestörung. Bei der jejunalen Ernährung sollten Ernährungslösungen mit kurzkettigen Proteinen (z.B. Peptisorb) verwendet werden, da diese physiologischerweise bereits im Magen/ Duodenum aufgespalten werden.

Sondennahrung kann grundsätzlich entweder kontinuierlich über 24 Stunden oder als Bolusgaben verabreicht werden. Über einen gastralen Zugangsweg sind beide Optionen wahrscheinlich gleichwertig. Wird jejunal ernährt sollte eine kontinuierliche Applikation erfolgen, da durch die Physiologie der Magenentleerung das Jejunum auch bei oraler Ernährung kontinuierlich Nahrung erhält.

Achtung! Es gibt Medikamente z.B. L-Thyroxin, die für ihre Wirksamkeit zwingend nüchtern verabreicht werden müssen. Bei kontinuierlicher Ernährung ist es bei Patient*innen, die z:B. L-Thyroxin erhalten die Nahrung ausreichend vorher (bei L-Thyroxin 4 Stunden) zu pausieren.

Die unterschiedlichen Wege der Ernährung (oral/ enteral/ parenteral) können gut kombiniert werden, wenn z.B. aufgrund gastrointestinaer Probleme die Energiezufuhr enteral nicht vollständig gewährleistet werden kann.

Bei der parenteralen Ernährung ist zusätzlich zu beachten, dass hochosmolare Lösungen (>900mosmol/l) über zentrale Zugänge gegeben werden müssen, niedriger osmolare Lösungen (≤ 900mosmol/l) können periphervenös verabreicht werden.

Aus welchen Nährstoffen sollte die Ernährung bestehen?

Die hauptsächliche Funktion der Proteine ist die Lieferung von Stickstoff und die Bereitstellung essentieller Aminosäuren als Vorstufe für die endogene Proteinsynthese. Sie stellen also keine primäre Energiequelle dar, sondern sollen je nach Krankheitsphase vor allem den Protein-Katabolismus bremsen oder die körpereigene Proteinsynthese erlauben. Idealerweise sollten 1,0 g Proteine bzw. 1,2 g Aminosäuren pro kg aktuelles KG/ Tag zugeführt werden. Es sind mehr freie Aminosäuren als geformtes Protein notwendig, z.B. bei parenteraler Ernährung, da freie Aminosäuren ungefähr 17 % weniger Proteinäquivalenz enthalten. Die Steigerung/ Reduktion der Proteinzufuhr je nach Krankheitsphase entspricht der Gesamtkalorienzufuhr. Proteinverluste über Drainagen (Pleurakath etc.) und Verbände sollten substituiert werden. Hier ist eine praktische Möglichkeit analog zur Aszitesdrainage pro Liter Exsudat 6-8 g Albumin i.v. zu substituieren.

Kohlenhydrate sollten die hauptsächliche Energiequelle darstellen, ca. 60% der zugeführten Energie sollte aus Kohlenhydraten bestellen. Insgesamt sollten mindestens 140g Kohlenhydrate pro Tag für die glukoseabhängigen Organe (Gehirn, Erys, Nebennieren) zugeführt werden. Parenteral sollte eine Obergrenze von 4 g Glucose/ kgKG/ Tag nicht überschritten werden. Parenteral sollte ausschließlich Glukose, enteral Glucose oder Maltose zugeführt werden. Zuckeraustauschstoffe (Fructose, Sorbit, Xylit) sollten nicht als Kohlenhydratquelle verwendet werden.

Lipide dienen einerseits als Energielieferant (30-40 % der Energie) und andererseits als Ausgangssubstanz für Entzündungsmediatoren und andere körpereigene Botenstoffe.

Bei kritisch kranken, parenteral ernährten Patient*innen sollten Lipidemulsionen mit vermindertem Gehalt an Omega-6-Fettsäuren eingesetzt werden, da Omega-6-Fettsäuren durch ihre Umwandlung in Eicosanoide eine proinflammatorische Wirkung haben können. Eine Obergrenze von 1,5 g Fett/ kgKG/ Tag sollte nicht überschritten werden.  

Vitamine und Spurenelemente sollten supplementiert werden, sofern der Tagesbedarf nicht über die enterale Ernährung gedeckt ist. Sobald eine enterale Ernährung mit 1500 kcal möglich ist, ist der Tagesbedarf über die gängigen enteralen Nährlösungen gedeckt. Bei parenteraler Ernährung sollten Vitamine und Spurenelemente immer von Anfang an substituiert werden, da diese in den gängigen Lösungen NICHT enthalten sind. Für eine optimale Wirkamkeit ist es sinnvoll fett- und wasserlösliche Vitamine immer gemeinsam zu verabreichen.

Prokinetika

Gastrointestinale Motilitätsstörungen sind bei Intensivpatient*innen ein häufiges Problem, häufig bedingt durch eine verminderte Splanchnikusperfusion durch Sepsis, Multiorgandysfunktion, Opiate, Katecholamine etc.

Medikamentöse Therapieoptionen für paralytische gastrale Motilitätsstörungen:

  • Metoclopramid: 30mg/d oder 0,5mg/kgKG für maximal 5 Tage, CAVE! neurologische UAW: Dyskinesien, Konvulsionen, QT-Zeit-Verlängerung, proarrhythmogen
  • Erythromycin: 3x250mg für 3 Tage, CAVE! off-label Use, Tachyphylaxie, bakterielle Resistenzbildung,T-Zeit-Verlängerung, proarrhythmogen

Medikamentöse Therapieoptionen für paralytische intestinale Motilitätsstörungen:

  • Neostigmin, Distigmin, Sincalid
  • Weichmacher: Paraffinöl
  • osmotisch wirksame Substanzen: Macrogol, Mannit, Amidotrizoesäure (Gastrografin) → CAVE! off-Label, schränkt die Möglichkeit von KM-CTs nach Gabe ein!

Zur Therapie opiatinduzierter Gastrointestinaler Motilitätsstörungen gibt es mit Methylnaltrexoniumbromid (Relistor) ein Medikament, das über eine spezifische gastrointestinale Blockade der Opioidrezeptoren den Motilitätsstörungen entgegenwirkt.

Ernährung bei Patient*innen Organunterstützungssystemen

Nierenersatztherapie (für weitere Infos und Patient*innen mit Nierenversagen ohne Nierenersatztherapie siehe auch Leitlinie Ernährung bei Niereninsuffizienz)

Aufgrund der höheren Proteinverluste unter der Nierenersatztherapie, die supplementiert werden müssen benötigen Patien*innen mit Nierenersatztherapie mehr Proteine. Der dialysebedingte Proteinverlust entsteht durch eine zytokinvermittelte Proteolyse durch Exposition der Proteine gegenüber der biokompatiblen Membran der Dialyse und dadurch zum Aminosäureverlust über das Dialysat.

Bezüglich der Höhe der Zufuhrraten sind sich die Leitlinien nicht einig: Die ASPEN-Leitlinie empfiehlt ein Protein-Ziel von 2,5 g/kg KG/ Tag, die DGEM-Leitlinie 1,2-1,6, maximal 1,8 g/kg KG/ Tag.

Über die Dialyse kommt es außerdem zu einem Verlust von Vitaminen und Spurenelementen, sodass Dialysepatient*innen die doppelte Tagesdosis an Vitaminen und Spurenelementen benötigen.

ECMO/ ECLS

Bei hämodynamischer Stabilität unter ECMO/ ECLS können Patient*innen enteral ernährt werden. Bei parenteraler Ernährung können Lipide unter engmaschiger Kontrolle des Membranoxygenators (Lipid-Depot-Bildung) erfolgen, Lipidemulsionen sollten über einen möglichst kreislauffernen zentralen Zugang infundiert werden.

Punchlines

  1. Ernährung von Intensivpatient*innen ist outcomerelevant! Deshalb: daran denken!
  2. Intensivpatient*innen sollten entsprechend des Stadiums ihrer Erkrankung ernährt werden. Wichtig ist: bei jeder neu auftretenden Problematik (z.B. neue Sepsis, NSTEMI etc.) befinden sich die Patient*innen wieder in der Akutphase!
  3. Bei normalgewichtigen Patient*innen sollte die Ernährung in der Akutphase mit 18 kcal/kgKG/Tag begonnen werden.
  4. Die Ernährung lässt sich gut mithilfe des BZ/ Insulinbedarfs und Serumphosphats anhand der individuellen metabolischen Toleranz steuern (siehe Grafiken).
  5. Viele Intensivpatient*innen haben ein hohes Risiko ein Refeeding-Syndrom zu entwickeln, deshalb ist es wichtig daran zu denken!
  6. Die häufigsten Symtome eines Refeeding-Syndroms sind Tachykardie, Tachypnoe und Ödeme.
  7. Es gibt keine klare Evidenz zur Überlegenheit einer enteralen gegenüber einer parenteralen Ernährung. Dennoch empfehlen die Leitlinien, die enterale- einer parenteralen Ernährung vorzuziehen.
  8. Kontraindikationen für eine enterale Ernährung sind: schwere gastrointestinale Motilitätsstörungen (Reflux >500ml/6h), chirurgische Kontraindikationen (z.B. Z.n. Whipple) und schwere hämodynamische Instabilität (z.B. Noradrenalin > 0,5 ug/kg/min).
  9. Proteinverluste über Dialyse und Drainagen (Aszites, Pleurakath etc.) und Verbände sollten zusätzlich substituiert werden.
  10. Patient*innen mit Dialyse benötigen die doppelte Dosis an Vitaminen und Spurenelementen pro Tag.

Autorin

Paula Hofstetter

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