Delir – Mehr als nur ein „Durchgangssyndrom“…

Was ist überhaupt ein Delir?

Nach ICD 10 ist ein Delir eine qualitative und/oder quantitative Störung des Bewusstseins und mindestens 2 der nachfolgenden Störungen:

  • Störung der Aufmerksamkeit
  • Störung der Wahrnehmung
  • Störung des Denkens
  • Störung des Gedächtnisses
  • Störung der Psychomotorik
  • Störung der Emotionalität
  • Störung des Schlaf-Wach-Rhythmus

Typisch ist zudem eine akute Entwicklung der Störung über einen kurzen Zeitraum von Stunden bis Tagen, sowie häufig starke Schwankungen der Symptomatik im Tagesverlauf. Das Delir ist aufgrund der Vielzahl der einzelnen Symptome daher keine Erkrankung, sondern ein Syndrom!

Warum ist Delir relevant?

Delir ist ein sehr häufiges Krankheitsbild! Je nach untersuchter Kohorte (ICU, postoperativ, Normalstation etc.) werden in der Literatur Inzidenzen zwischen 30 und 80 % der Patient:innen berichtet! Hierbei ist wichtig, dass das Delir nicht, wie früher oft angenommen, ein „Durchgangssyndrom“, also einfach ein vorübergehender Verwirrtheitszustand ist. Vielmehr ist es Ausdruck einer akuten Organfunktionsstörung des Gehirns, vergleichbar mit z. B. einem ARDS als akute Lungenfunktionsstörung oder einem akuten Nierenversagen! Durch ein Delir wird der komplette weitere Behandlungs- und Heilungsverlauf beeinträchtigt. So weiß man, dass sich bei Auftreten eines Delirs der Krankenhausaufenthalt um 2-3 Tage verlängert und sich die Dauer der notwendigen Beatmung, sowie der Aufenthalt auf der Intensivstation verlängern. Außerdem kommt es durch ein Delir zu mehr postoperativen Komplikationen wie Wundinfekte, Nachblutungen, Wundheilungsstörungen etc. Generell erhöht ein Delir die Mortalität. So konnte in Studien bei Patient:innen mit Delir eine 30-Tages-Mortalität von 7-10 % gefunden werden, während die delirfreie Kontrollgruppe nur eine Mortalität von 1% aufwies.

Neben den kurzzeitigen negativen Auswirkungen hat ein Delir auch dauerhafte Einschränkungen zur Folge: So wird die generelle funktionelle und kognitive Prognose der Patient:innen beeinträchtigt. Es konnte in einer Studie eine verschlechterte kognitive Leistung in bis zu 25 % der Patient:innen mit Delir ein Jahr nach dem Intensivaufenthalt beobachtet werden. Zudem korreliert die Delirdauer mit dem Risiko nach dem Intensivaufenthalt eine posttraumatische Belastungsstörung zu entwickeln.

Wie entsteht ein Delir?

In der Delirentstehung unterscheidet man zwischen prädisponierenden Faktoren (= Vulnerabilitätsfaktoren), also Faktoren, welche die Patient:innen bereits mitbringen, und präzipitierenden (= auslösenden) Faktoren. Diese sind meist behandlungsassoziiert und daher durch uns Behandler:innen beeinflussbar!

Zu den prädisponierenden Faktoren gehören vorbestehende neurologisch-psychiatrische Vorerkrankungen, wie eine vorbestehende Demenz, Depression, Alkohol- oder Benzodiazepinmissbrauch, somatische Komorbiditäten, Hör-und Sehbehinderung, Malnutrition und (chronische) Schmerzen. Ob ein hohes Lebensalter per se ein prädisponierender Faktor ist, ist bisher unklar. Wahrscheinlich sind eher altersassoziierte Faktoren, wie Gebrechlichkeit und vorbestehende kognitive Störungen Risikofaktoren für die Entstehung eines Delirs.

Zu den präzipitierenden Faktoren gehört eine Vielzahl von Dingen, die im Krankenhausalltag häufig nicht vollständig vermieden werden können, wie eine fremde Umgebung, Immobilisation und Schmerzen. Zudem gehören krankheitsassoziierte Faktoren wie Elektrolytentgleisungen, vegetative Entgleisungen, Organversagen und Operationen zu den präzipitierenden Faktoren. Die Intensivpflichtigkeit allein stellt ebenfalls einen präzipitierenden Faktor dar. Außerdem gibt es eine Vielzahl von Medikamenten, die die Entstehung eines Delirs auslösen oder zumindest begünstigen können:

  • Neuroleptika (z. B. Chlorpromazin, Promethazin)
  • Trizyklika (z. B. Amitriptylin, Doxepin)
  • Spasmolytika (z. B. Butylscopolamin)
  • Antihistaminika (z. B. Diphenhydramin, Ranitidin)
  • Benzodiazepnie, Z-Substanzen
  • Mydriatika
  • Parkinson Medikamente (z. B. Amantadin, D2-Agonisten, L-Dopa)
  • Analgetika (z. B. Opiate, NSAR)
  • Antikonvulsiva (z. B. Phenytoin, Valproat, Carbamazepin)
  • Antibiotika (z. B. Gyrasehemmer, Sulfonamide, Tuberkulostatika)
  • Lithium
  • Digitalis
  • Theophyllin
  • Cortison

Diese können häufig aufgrund der zugrunde liegenden Krankheit nicht einfach abgesetzt werden, sollten aber idealerweise zumindest kritisch überdacht werden.

Mit welchen präventiven Maßnahmen kann ich das Risiko für die Entstehung eines Delirs minimieren?

Grundsätzlich sollte eine nicht-medikamentöse Delirprävention bei allen hospitalisierten Patient:innen, insbesondere jedoch bei allen Intensivpatient:innen durchgeführt werden! Hingegen sollte KEINE grundsätzliche medikamentöse Delirprophylaxe erfolgen, da diese nicht zu einer Reduktion des Delirrisikos und der Mortalität führt.

Tagsüber können zahlreiche Maßnahmen dabei helfen, die Patient:innen zu aktivieren:

Einer der wichtigsten Punkte hierbei ist die Kommunikation und kognitive Stimulation. Der Verlust der Kommunikationsfähigkeit wird von vielen z. B. tracheotomierten Patient:innen als sehr belastend erlebt, so dass es hilfreich sein kann, alternative Kommunikationsmöglichkeiten z. B. Schreibbrett, Kommunikationsboard etc. auszuprobieren. Auch ein Radio, Fernseher oder Tablet mit der Lieblingsmusik oder Lieblingsserie des Patienten kann dabei helfen, der Langeweile zu begegnen und Patient:innen ein kleines Stückchen Normalität zurückzugeben! Wann immer möglich sollten Familienangehörigen mit eingebunden werden. Müssen Patient:innen aus hygienischen Gründen isoliert werden, so kann man versuchen alternative Kommunikationsmöglichkeiten mit Angehörigen (z. B. Videotelefonie) zu nutzen.

Für die zeitliche Reorientierung ist es wichtig, Patient:innen ihre Hilfsmittel wie Brille und Hörgeräte zurückzugeben. Zudem sollte sich idealerweise eine Uhr und ein Kalender in Sichtweite der Patient:in befinden. Grundsätzlich sollte der natürliche Tag-Nacht-Rhythmus gefördert werden, idealerweise durch Anpassung der Beleuchtung und Nutzung von Tageslicht. Zudem sollten tagsüber aktivierende Therapien wie Mobilisation, Physio-, Ergo- und Atemtherapie erfolgen. Bei ausreichenden personellen Ressourcen und ausreichender Personalschulung können auch Patient:innen mit Organunterstützungssystemen und Tubus mobilisiert werden!

Eine der wichtigsten Maßnahmen zur Delirprävention ist der Erhalt des Nachtschlafs! Lärm und Licht sind Faktoren, die insbesondere auf Intensivstationen einen normalen Schlafrhythmus häufig verhindern. Die Beleuchtung sollte daher nachts entsprechend angepasst und die Umgebungsgeräusche auf ein Minimum reduziert werden. Studien haben gezeigt, dass insbesondere Gespräche des Personals als besonders störend empfunden werden! Wachen Patient:innen können einfache Hilfsmittel wie Ohrstöpsel und Schlafbrillen angeboten werden, die gerade in Mehrbettzimmern Wunder wirken können 😉

Nachts sollten medizinische Maßnahmen auf das absolut notwendige Minimum beschränkt werden. Patient:innen nachts zu waschen ist zwar vielleicht praktisch und nimmt dem Frühdienst Arbeit ab, führt aber leider zu einer Störung des Nachtschlafs. Auch nächtliche Plastikwechsel sollten sehr kritisch hinterfragt werden!

Ist zusätzlich zu einer ruhigen Umgebung eine schlafanstoßende Medikation notwendig, so sollte bevorzugt Melatonin eingesetzt werden, da hierfür vor allem bei älteren Patient:innen eine delirpräventive Wirkung gezeigt werden konnte. Weitere gute Optionen sind langwirksame niedrigpotente Neuroleptika und Mirtazapin. Benzodiazepine und Z-Substanzen sollten aufgrund ihrer prodelirogenen Wirkung vermieden werden. Grundsätzlich sollte man jegliche Medikation hinsichtlich der Schlafarchitektur kritisch überprüfen. So ist zum Beispiel die „beliebte“ nächtliche Propofolgabe zum „Durchschlafen“ nachgewiesenermaßen nicht zielführend, da Propofol zu einer Störung der Schlafarchitektur führt und dadurch die Entstehung eines Delirs weiter fördert!

Insgesamt hilft eine frühestmögliche Wiederherstellung eines möglichst physiologischen Zustands sowie eine „Normalisierung“ der Patientenumgebung dabei, Delirien zu verhindern und zu bekämpfen. Hierzu gehört zum Beispiel eine frühestmögliche enterale/ orale Ernährung, Entfernung von Drainagen etc., aber auch eine adäquate Analgesie! Hierbei sollte insbesondere an Lokal- und Regionalanästhesieverfahren gedacht werden, da systemisch wirksame Analgetika häufig wiederum delirfördernde Effekte haben. Eine adäquate Therapie von Grunderkrankungen und eine Fortsetzung der Hausmedikation, insbesondere mit Statinen, Psychopharmaka und eine adäquate antihypertensive Therapie konnten in Studien das Delirrisiko senken. Allerdings ist gleichzeitig eine Polypharmazie (s. o.) auch ein unabhängiger Risikofaktor für die Entstehung eines Delirs, sodass die Hausmedikation bei Aufnahme kritisch überprüft und im Verlauf ggf. angepasst werden sollte.

Auch wenn delirante Patient:innen häufig arbeitsaufwendig und anstrengend sein können, sollte eine Fixierung wann immer irgendwie möglich vermieden werden! Eine Fixierung ist ein zusätzlicher delirfördernder Faktor und bedarf als freiheitsentziehende Maßnahme sehr engen rechtlichen Voraussetzungen, die unbedingt eingehalten werden müssen! Eine Fixierung darf nur eingesetzt werden, wenn eine akute Selbst- oder Fremdgefährdung vorliegt, und auch dann nur nach Ausschöpfung aller sonstigen verfügbaren Möglichkeiten.

In zahlreichen aktuelleren Studien, die Eingang in die Leitlinie gefunden haben, hat sich gezeigt, dass das wichtigste Mittel der Delirprävention die Vermeidung einer (unnötigen) Sedierung ist! (Unnötige) Sedierung führt zudem zu einer höheren Mortalität, verlängerter Beatmungsdauer, verlängertem Intensivaufenthalt und Krankenhausaufenthalt (siehe Exkurs).

Damit man sich die einzelnen Maßnahmen zur Delirprävention, die regelmäßig evaluiert werden sollten, besser merken kann, haben Marra et al. das Delir – ABCDEF-Bundle publiziert. Vielleicht hilft es dem Einen oder Anderen ja als kleine Merkhilfe:

  • A: Assess, prevent, manage Pain -> Schmerzmanagement
  • B: Both- spontaneous awakening (SAT) and spontaneous breathing trial (SBT) -> täglicher Aufwach- und Spontanatemversuch
  • C: Choice of Anagesia and Sedation -> symptom- und krankheitsbezogene Wahl der analgetischen und sedierenden Medikation
  • D: Delirmanagement
  • E: Early mobilization and Exercise -> Frühmobilisation
  • F: Family engagement -> Einbindung der Familie

Exkurs: (Analgo-) Sedierung auf der Intensivstation

Eine tiefe Sedierung ist mit einer erhöhten Mortalität, verlängerten Beatmungsdauer, sowie verlängerten Intensiv- sowie Krankenhausverweildauer assoziiert und sollte daher möglichst vermieden werden! Die Leitlinie formuliert als Ziel, dass Intensivpatient:innen wach und kooperativ sein, intensivmedizinische Maßnahmen gut tolerieren und aktiv an ihrer Genesung mitwirken können sollen (RAAS 0/-1).

WertBezeichnungErklärung
+4StreitlustigOffenkundig aggressiv oder gewalttätig, unmittelbare Gefahr für das Personal (fremdgefährdend)
+3Sehr agitiertZieht an Schläuchen oder Kathetern, aggressiv (eigengefährdend)
+2AgitiertHäufig ungezielte Bewegungen, atmet gegen das Beatmungsgerät
+1UnruhigÄngstlich, aber Bewegungen nicht aggressiv oder lebhaft
0Aufmerksam und ruhig
-1Schläfrignicht ganz aufmerksam aber durch Ansprache erweckbar, Augenkontakt >10s
-2Leichte SedierungNur ganz kurz erweckbar durch Ansprache, Augenkontakt <10s
-3Mäßige SedierungBewegungen/ Augenöffnen durch Ansprache aber kein Augenkontakt
-4Tiefe SedierungKeine Reaktion durch Ansprache, aber Reaktion auf Berührung
-5Nicht erweckbarKeine Reaktion, weder durch Ansprache noch durch Berührung
RASS nach https://www.divi.de/joomlatools-files/docman-files/publikationen/bewusstseinsstoerungen-und-koma/20190211-cam-icu-ras-bps-a4.pdf

Man weiß, dass Schmerz und Schlaflosigkeit die häufigsten Stressoren der intensivmedizinisch behandelten Patient:innen sind. Schmerzen werden regelhaft unterschätzt und nicht adäquat therapiert. So konnten Whipple et al. zeigen, dass 70 % der Intensivpatient:innen Schmerzen als unangenehmste Erinnerung ihres ICU-Aufenthalts angaben, das behandelnde Personal allerdings in 70-90 % dieser Fälle der Meinung war, diese Patient:innen seien schmerzfrei!

Zudem konnten Nelson et al., Treggari et al. und Treggari-Venzi et al. zeigen, dass die Länge der Sedierung und der Einsatz von Benzodiazepinen Risikofaktoren für die Entstehung einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) nach dem Intensivaufenthalt sind. Sie konnten eine höhere PTBS-Inzidenz bei zunehmender Sedierungsdauer feststellen. Auch wenn wir häufig unsere Patient:innen durch die Sedierung von den Geschehnissen auf der Intensivstation „abschirmen“ möchten, konnten sie zeigen, dass eine tiefe Sedierung nicht vor der Entstehung von Angststörungen schützt und flacher sedierte Patient:innen keinem größeren Stress ausgesetzt waren als die tiefer sedierte Kontrollgruppe.

Grundsätzlich bedarf eine Sedierung immer einer Indikation! Primäre Indikationen sind nach der Leitlinie beispielsweise das Schädelhirntrauma mit erhöhtem ICP (siehe auch unseren Artikel zum Management der ICB) und der Status epilepticus. Hier ist das Ziel die Reduktion des Metabolismus und des Sauerstoffverbrauchs im Gehirn. Sekundäre Indikationen basieren auf dem Ziel, den generellen Metabolismus und Sauerstoffverbrauch der Patient:innen zu minimieren und die Verletzungsgefahr durch Patient:innen selbst oder durch technische Voraussetzungen zu reduzieren. Beispiele hierfür sind das ARDS-Management, akute Schockzustände, Lagerungstherapien (z. B. Bauchlagerung) oder eine notwendige vollständige Immobilisation im Rahmen von Trauma und operativer Versordung.

Das Sedierungsziel sollte entsprechend der Indikation klar definiert und regelmäßig kritisch reevaluiert werden und ggf. an die veränderte klinische Situation angepasst werden.

Ist eine tiefe Sedierung indiziert, sollte wenn möglich ein prozessiertes EEG-Monitoring (siehe Artikel Neuromonitoring) verwendet werden, um eine Burst-Suppression zu vermeiden.

Ist eine tiefe Sedierung indiziert, empfiehlt die Leitlinie bei allen Patient:innen mit einem RASS von -2 oder weniger täglich einen Spontanatem- (SBT= spontaneous breathing trial) und Aufwachversuch (SAT= spontaneous awakening trial) durchzuführen.

Grundsätzlich ist das Vorhandensein eines Tubus KEINE Indikation für eine moderate bis tiefe Sedierung, die Leitlinie empfiehlt die Tubustoleranz mittels adäquater nach Bedarf titrierter Analgesie zu erreichen. Insgesamt sollte versucht werden, statt einer kontinuierlichen (Analgo-) Sedierung eine bolusweise Analgesie bei Bedarf und vor schmerzhaften Prozeduren z. B. Punktionen, Absaugen, Mundpflege, Atemtherapie, Extubation etc. zu verwenden. Auch hier kann eine Lokalanästhesie eine große Rolle spielen.

Zu den verschiedenen Analgetika und Sedativa sowie ihren pharmakologischen Eigenschaften und ihren Vor- und Nachteilen gibt es in der Leitlinie eine schöne Zusammenfassung.

Sind Patient:innen agitiert, sollte man vor der Sedierung versuchen, die Ursache der Agitation herauszufinden. Vielleicht ist dem Patienten kalt? Vielleicht hat er Angst, Schmerzen oder Harndrang? Ihm ist langweilig? Er kann nicht schlafen? Oder die Lagerung ist einfach super unbequem? Vielleicht lassen sich diese Probleme sehr einfach beheben, sobald man sie erkannt hat, ohne sich durch die zusätzliche Sedierung weitere Probleme einzukaufen.

Auch wenn alle diese Dinge dem aktuellen Stand der Wissenschaft entsprechen, sieht die Realität auf vielen Intensivstationen deutlich anders aus. Das größte Problem hierbei sind (personelle) Ressourcen und die Motivation und Schulung der Mitarbeiter:innen. Sedierungsfreie- oder sedierungsarme Intensivmedizin ist zumindest zu Beginn eine große Umstellung für das medizinische Personal und auch mit Mehraufwand verbunden, auch wenn Laerkner et al. zeigen konnten, dass kein langfristiger Mehraufwand für die Pflegenden durch die Sedierungsreduktion besteht. In Deutschland gibt es bereits Häuser, in denen die sedierungsfreie Intensivmedizin gelebt wird wie beispielweise in Freiburg. Allen interessierten können wir wärmstens die Folge der Kollegen des Abhören-Podcasts zu dem Thema empfehlen. Habt ihr persönliche Erfahrungen mit sedierungsfreier Intensivmedizin? Dann lasst uns gerne einen Kommentar da, wie das bei euch gelebt wird!

Wie kann man das Delir einteilen?

Auch wenn die gefühlte Realität eine andere ist, machen hyperaktive Delirien mit gesteigerter motorischer Unruhe, Rastlosigkeit, ungeduldigem und eventuell aggressivem Verhalten nur 5 % der Delirien aus! Deutlich häufiger ist das hypoaktive Delir (30 %) mit motorischer und kognitiver Verlangsamung, reduzierter Aktivität und Antriebslosigkeit bis Apathie. Die häufigste Delirform ist das Delir vom Mischtyp (65 %).

Wie diagnostiziert man ein Delir?

Der klinische Blick ist leider für die Erkennung eines Delirs nicht ausreichend! So werden beispielsweise 2/3 der hypoaktiven Delirien ohne ein strukturiertes Screening nicht erkannt (Girard et al.). Ideal ist ein regelmäßiges Screening (z. B. 1x/ Schicht) mit zusätzlicher systematischer Evaluation von Schmerz und Sedierungsgrads. Solche Screenings führen zu weniger nosokomialen Infektionen, kürzeren Beatmungs- und Intensivbehandlungsdauern und können die Letalität reduzieren (Chanques et al.).

Ein regelmäßiges Screening ist nicht nur zur Detektion eines Delirs wichtig, sondern auch zur täglichen Reevaluation der bereits begonnenen Therapiemaßnahmen. Wichtig ist zudem, dass tatsächlich zu unterschiedlichen Tageszeiten (z. B. 1x/ Schicht) gescreent wird, da aufgrund der großen Fluktuation der Symptomatik im Tagesverlauf bei z. B. nur morgendlichem Screening womöglich viele Delirien übersehen werden!

Es gibt eine Vielzahl an unterschiedlichen Screening- und Monitoring-Tools, die alle ihre Vor- und Nachteile haben:

  • Einen guten „Spickzettel“ für die gängigsten Tools findet man hier.
  • Schmerz: z. B. Critical-Care Pain Observation Tool (CPOT): Validiert für beatmete und nicht beatmete Patient:innen (Rijkenberg et al.)
  • Delir:
    • Der NU-DESC ist ein Screeningtool für Pflegende, allerdings ist er eigentlich nicht für die ICU sondern für den Aufwachraum validiert, wird aber trotzdem häufig auf der Intensivstation eingesetzt, da er nicht besonders aufwendig ist und schnell und einfach durchgeführt werden kann. Allerdings hat er keine besonders gute Interrater-Reliability. Patient:innen werden hiermit durch Pflegekräfte 1x/ Schicht gescreent. Erreichen sie einen oder mehr Punkte, dann sollte der Arzt informiert werden und zur Validierung einen weiteren Test z. B. CAM-ICU durchführen.
    • Der CAM-ICU ist der bekannteste Delir-Test. Wahrscheinlich kann er auch bei sedierten Patient:innen bis zu einem RASS von -3 durchgeführt werden (Van den Boogaard et al.). Eine gute Pocketcard zum CAM-ICU findet man hier.
    • Eine Alternative zum CAM-ICU ist der ICDSC.
  • Angst: z. B. STAI-s oder BSI-a (Perpiñá-Galvañ et al.)

Wie kann ich vorgehen, wenn ich den Verdacht habe, dass ein akutes Delir vorliegen könnte?

Zunächst ist es wichtig, die Plausibilität der Delir-Diagnose zu prüfen: Ist es wahrscheinlich, dass der Patient aufgrund seiner Vorerkrankungen und dem Verlauf der aktuellen Erkrankung jetzt ein Delir entwickelt? Wichtig ist, sich vor Beginn der Delirtherapie immer über (potenziell akut lebensbedrohliche) Differentialdiagnosen Gedanken zu machen. Ist die Entstehung eines Delirs plausibel und die Ursache klar, sollte aber unnötige Diagnostik vermieden und die Delirtherapie begonnen werden.

Die wichtigsten Differentialdiagnosen eines Delirs/ akuten Verwirrtheitszustands sind:

  • Intoxikation
  • Pharmakogene (L-Dopa) und toxische Psychosen
  • anticholinerges und serotonerges Syndrom
  • primär psychatrische Erkrankungen (Psychose, Manie, Dissoziation)
  • Alkoholfolgeerkrankungen: Wernicke-Korsakow-Syndrom, Alkoholhalluzinose
  • Traumatische Hirnverletzungen
  • Metabolische (hepatisch, renal) oder endokrine Enzephalopathien
  • septische Enzephalopathie
  • Entzündungen des ZNS (virale/ bakterielle Enzephalitis/ Meningoenzephalitis)
  • Autoimmune Enzephalitiden
  • Transiente globale Amnesie (TGA)

Tritt ein Delir auf, dann sollte man sich die aktuelle Medikation der Patient:innen anschauen und ggf. prodelirogene Medikamente (s. o.) absetzen, wenn möglich. Wichtig ist hierbei vor allem auch nach frei verkäuflichen Medikamenten zu fragen, die die Patient:innen häufig vergessen bei der Anamnese mit anzugeben (z. B. Klosterfrau-Melissengeist ;-)). Patient:innen in der Akutphase sollten engmaschig überwacht werden, da bei allen deliranten Patient:innen eine potenzielle Selbst- und ggf. auch Fremdgefährdung vorliegen kann. Das bedeutet aber NICHT, dass ein Delir allein eine Indikation zur Aufnahme auf die Intensivstation darstellt! Bei allen akut deliranten Patient:innen sollten außerdem reorientierende Maßnahmen (s. o.) eingeleitet werden.

Spezialfall: Prävention des postoperativen Delirs

Nicht nur schwer kranke Intensivpatient:innen werden delirant. Auch das postoperative Delir spielt bei unserer alternden Patient:innenklientel eine immer größere Rolle. So verlängert ein postoperatives Delir den Krankenhausaufenthalt im Schnitt um 2-3 Tage und ist mit zahlreichen weiteren negativen Outcomes (s. o.) assoziiert. Mit einem besonders hohen Delirrisiko assoziiert sind alle großen Bauch- und Beckeneingriffe, große Notfalleingriffe und alle Operationen, die einen postoperativen ICU-Aufenthalt notwendig machen.

Kleiner Exkurs für Nerds: Pathophysiologie des postoperativen Delirs?

Neuroinflammationshypothese

In Studien konnte gezeigt werden, dass postoperativ erhöhte CRP und IL-6 Spiegel mit höheren postoperativen Delirraten assoziiert sind. Man geht davon aus, dass die periphere Inflammation zu einem funktionellen Verlust der Integrität der Blut-Hirn-Schranke führen kann, wodurch es zu einer Translokation von inflammatorischen Zellen und Zytokinen ins ZNS kommt. Diese Akkumulation von inflammatorischen Mediatoren führt zu einem Verlust der synaptischen Plastizität und zu einer verstärkten Neuroapoptose. Es konnte beispielweise gezeigt werden, dass mehrfache Operationen mit einem signifikant höheren Risiko einer abnormalen Cortexverdickung als Zeichen des neuronalen Remodelings assoziiert sind.

Neurotransmitterhypothese

Die Neurotransmitterhypothese postuliert die Veränderung der Neurotransmitterkonzentrationen als Ursache des (postoperativen) Delirs. Acetylcholin ist unter anderem mitverantwortlich für die Neuroplastizität und an mehreren neuronalen Pathways beteiligt, die für Aufmerksamkeit und Gedächtnis verantwortlich sind. Es konnte gezeigt werden, dass niedrige Acetylcholinspiegel ein unabhängiger Risikofaktor für eine Delirentwicklung sind. Insgesamt kommt es zu einem relativen Überwiegen der dopaminergen Neurotransmission und zu einem relativen Mangel der cholinergen Neurotransmission. Hierbei spielt wahrscheinlich sowohl eine genetische Prädisposition, als auch anticholinerge oder dopaminerge Medikation (s. o.) eine Rolle. Zudem ist eine cholinerge Depletion ein Merkmal bei allen systemischen Entzündungsreaktionen. Dieses relative Überwiegen des Glutamin-Dopamin-Systems kann zu Halluzinationen führen.

Subklinische cerebrale vaskuläre Ereignisse

Man weiß, dass Erkrankungen, die das Schlaganfallrisiko erhöhen (Bluthochdruck, Vorhofflimmern, Schlaganfall in der Vorgeschichte) auch Risikofaktoren für die Entstehung eines postoperativen Delirs sind. Obwohl das Risiko für einen klinisch signifikanten perioperativen Schlaganfall sehr gering ist, können in radiologischen Befunden bei 7-10 % älterer chirurgischer Patient:innen postoperativ subklinische cerebrale Ischämien gefunden werden. Diese sind mit einem doppelt so hohen Delirrisiko und einem massiv erhöhten postoperativen kognitiven Abbau assoziiert (NeuroVISION-Studie). Zudem ist ein cerebraler Perfusionsdruck über der Grenze der cerebralen Autoregulation ein unabhängiger Risikofaktor für die Entstehung eines postoperativen Delirs.

Mit welchen präoperativen Interventionen kann man das postoperative Delirrisiko senken?

Eine präoperative Polypharmazie sollte, wenn möglich, vermieden werden (in der Prämed- Ambulanz ist es hierfür aber leider häufig zu spät…). Zudem sollten verlängerte Nüchternzeiten von >6 h aufgrund des dadurch erhöhten Delirrisikos vermieden werden. Schon Nüchternzeiten von > 2h für Flüssigkeiten erhöhen das Risiko von Dehydratation, PONV und postoperativem Delir.

Zudem sind präoperative Schmerzen mit einem 1,5-3-fach erhöhten postoperativen Delirrisiko assoziiert, sodass eine gute präoperative Analgesie einen delirprotektiven Faktor darstellt.

Was muss man intraoperativ beachten?

Narkosetiefe und Delir (Chan et al. 2013)

Chan et al. haben einen RCT durchgeführt, in dem sie eine BIS-gesteuerte Anästhesie mit einem Ziel-Wert von 40-60 mit der Routineversorgung mit vitalparametergesteuerter Anästhesie verglichen haben. In der Kontrollgruppe (vitalparametergesteuerte Anästhesie) wurde zusätzlich auch BIS gemessen, allerdings war dieses für die Anästhesist:innen nicht sichtbar. Mit den Patient:innen wurde präoperativ und eine Woche und drei Monate postoperativ eine neuropsychologische Testbatterie und ein Delirscreening durchgeführt und die Ergebnisse mit gematchten Patient:innen ohne Operation im gleichen Zeitraum verglichen. Es konnte gezeigt werden, dass die BIS-Werte im Steady-State der Narkose bei den Patient:innen mit BIS-Monitoring signifikant niedriger waren als in der Kontrollgruppe. Außerdem wurde in der BIS-Gruppe 21 % weniger Propofol und 30 % weniger volatile Anästhetika verwendet als in der Gruppe mit vitalparameter-gesteuerter Narkose. Zudem kam es in der Gruppe mit der BIS-gesteuerten Narkose zu signifikant weniger Delirien und postoperativen kognitiven Dysfunktionen.

Grundsätzlich muss man also davon ausgehen, dass eine effektadaptierte Dosierung der Anästhetika hinsichtlich dem Delirrisiko einer gewichtsadaptierten Anästhetikadosierung überlegen ist. Die Verwendung eines EEG-Monitorings ist mit einem signifikant niedrigeren postoperativen Delirrisiko assoziiert. Hierbei sollte unbedingt die Alpha-Aktivität erhalten bleiben und eine Burst-Suppression vermieden werden.

Schmerz

Insbesondere bei älteren und speziell bei dementen Patient:innen werden Schmerzen zu selten erkannt. Ein unkontrollierter Schmerz begünstigt allerdings die Entstehung eines Delirs. Allerdings erhöhen auch Opiate das Delirrisiko, insbesondere bei geriatrischen Patient:innen. Hierbei ist es vermutlich unerheblich, welches Opiat verwendet wird (Swart et al.). Daher sollte ein multimodales Analgesiekonzept mit peripheren Analgetika, Koanalgetika, Opiaten und wo immer möglich Regionalanästhesieverfahren verfolgt werden.

Zudem konnte durch die Reduktion der Neuroinflammation (siehe Neuroinflammationshypothese) eine signifikant delirprotektive Wirkung durch NSAR und Paracetamol gezeigt werden! So lag die NNT für die Verhinderung eines postoperativen Delirs durch Parecoxib bei 20 und durch Paracetamol bei 5,6. Dies ist u.a. auf die Hemmung der COX im ZNS zurückzuführen.

Dexmedetomidin

Im Tiermodell reduziert Dexmedetomidin die Expression inflammatorischer Mediatoren, die Mikrogliaaktivierung und Neuroapoptose. Wang et al. konnten in einer Metaanalyse zudem eine reduzierte postoperative Konzentration von Stresshormonen nach intraoperativer Gabe von Dexmedetomidin zeigen. Postoperative Schlafstörungen sind mit einem höheren Delirrisiko assoziiert. Wu et al. zeigten in einer kleinen Studie, dass die niedrig dosierte postoperative Gabe von Dexdor® mit einer besseren postoperativen Schlafdauer, besseren Tiefschlaf und niedrigeren Delirraten assoziiert ist. Mehrere weitere Studien bestätigen, dass wohl auch kürzere, perioperative Dexdor®-Gaben mit einer niedrigeren postoperativen Delirrate assoziiert sind.

Sonstige perioperative Faktoren

Grundsätzlich scheint es keinen Unterschied hinsichtlich der Delirraten zu geben, je nach dem, ob eine TIVA oder volatile Anästhetika verwendet werden. Allein Xenon als volatiles Anästhetikum scheint mit niedrigeren Delirraten assoziiert zu sein, hier ist die Datenlage allerdings noch sehr dünn.

Eine perioperative Hypothermie sollte in jedem Fall vermieden werden, da eine niedrigere Körpertemperatur mit einer höheren postoperativen Delirrate assoziiert ist und auch sonst zahlreiche negative Effekte durch die Hypothermie auftreten können (siehe Perioperatives Temperaturmanagement).

Da die Entstehung eines Delirs von zahlreichen Faktoren abhängt, konnte bisher nicht mit ausreichender Evidenz gezeigt werden, dass minimalinvasive OP-Techniken das Delirrisiko senken, auch wenn pathophysiologische Überlegungen dies nahelegen.

Eine exzessive Volumentherapie ist mit einer erhöhten Delirrate assoziiert, eine Exsikkose allerdings auch. Auch Transfusionen steigern das postoperative Delirrisiko signifikant, so gibt es eine Assoziation zwischen der Anzahl der transfundierten Blutprodukte und dem Risiko eines postoperativen Delirs!

In zahlreichen großen Beobachtungsstudien und einer Metaanalyse konnte KEIN Zusammenhang zwischen einer intraoperativen Hypotension und der Entstehung eines postoperativen Delirs gefunden werden. Es scheint viel mehr nicht der absolute oder relative Blutdruckabfall, sondern die Bandbreite an Blutdruckschwankungen für die Entstehung eines postoperativen Delirs relevant zu sein (Hirsch et al.)!

Kochrezept: Medikamentöse Akuttherapie des Delirs

Ohne psychotische Symptome:

  • Pipamperon (HWZ bis 17h, Pipamperonsaft = 4mg/ml)
    • Titrierung in 40 mg Schritten (20 mg Schritte bei geriatrischen Patienten) in der Akutsituation, Re-Evaluierung je nach 30-60 Minuten
    • insgesamt 12-40 mg 1-2 mal täglich fest oder in geringeren Dosierungen gleichmäßig über den Tag verteilt (z.B. 1-1-2-3ml)
    • bei vorwiegender nächtlicher Symptomatik wegen längerer HWZ bevorzugt einsetzen, dann tagsüber bei Bedarf Melperon
  • Melperon (HWZ 4-6h) 25-50 mg 1-3x täglich
  • Quetiapin (HWZ 7-12h) 1-3x tägl. 12,5-75 mg
    • bei M. Parkinson (alle anderen Medikamente außer Clozapin und Quetiapin sind kontraindiziert!)
    • in einer Fallserie konnte Wan et al. eine Verkürzung der Delirdauer beobachten

Bei vorwiegenden Schlafstörungen/ nächtlicher Unruhe:

  • Pipamperon 40 mg zur Nacht (bei geriatrischen Patient:innen 20mg)
  • Mirtazapin 7,5-15 mg zur Nacht

Bei psychotischen Symptomen/ inhaltlicher Denkstörung:

  • Risperidon(HWZ 4-24h)
    • Titrierung in 0,5 mg Schritten (0,25 mg Schritte bei geriatrischen Patienten), Re-Evaluierung je nach 30-60 Minuten
    • 1-3x tägl. 0,5-1 mg
    • bei Verwirrtheit bei bestehender Demenz als Medikation zugelassen!
  • Haloperidol 2×0,5-1 mg p.o.
  • Aripiprazol 10mg 1x/d
  • Clozapin (HWZ 10-24h) bei Pat. mit M. Parkinson und Halluzinationen
    • Testdosis 6,25-12,5mg
    • Tagesdosis 25-50mg anstreben
    • UAW: Agranulozytosegefahr, starke sedierende und anticholinerge Wirkung, prokonvulsiv, Speichelfluss

Bei starken vegetativen Symptomen:

  • Clonidin i.v./ p.o.
  • Dexmedetomidin i.v.

Bei akutem Erregungszustand mit Eigen- oder Fremdaggression und/ oder der Notwendigkeit der parenteralen Applikation:

  • Haloperidol
    • Einmalgabe 5 mg intramuskulär (CAVE! Vollantikoagulation) oder i.v. (nur unter Monitoring!!!) (2 mg bei geriatrischen Patienten)
    • wahrscheinlich keine Verkürzung der Delirdauer und Aufenthaltsdauer auf der Intensivstation
    • häufig Überdosierung, jedes mg Haldol ist mit höherer Delirrate am nächsten Tag assoziiert (Pisani et al.)
    • parenterale Gabe möglich
    • wahrscheinlich im niedrigen Dosisbereich (<4,5 mg/d) nicht mehr extrapyramidale Nebenwirkungen als atypische Neuroleptika (Lonergan et al.)
  • Clonidin
  • Dexmedetomidin

Im Alkoholentzugsdelir

Achtung! Die Medikamente sollten nur spezifisch zur Delirtherapie und nicht unreflektiert zur Sedierung eingesetzt werden! Außerdem machen viele der Medikamente eine QTc-Zeit-Verlängerung, sodass regelmäßige EKGs zur QTc-Zeit-Kontrolle notwendig sind. Insbesondere Halluzinationen und andere produktiv psychotische Symptome haben erhebliche negative Auswirkungen auf die Patient:innen und sollten daher gezielt medikamentös behandelt werden, auch wenn bisher für fast alle Medikamente eine Verkürzung des Delirs nicht eindeutig nachgewiesen werden konnte.

Fazit

  1. Delir ist ein ernst zu nehmendes Krankheitsbild und stellt ein akutes Organversagen des Gehirns dar!
  2. Das klinische Bauchgefühl reicht zur Erkennung von Delirien nicht aus. Es sollte ein strukturiertes Delir-Screening durchgeführt werden.
  3. Besonders wichtig zur Prävention und Therapie des Delirs ist der Erhalt des Nachtschlafs und die Durchführung von reorientierenden- und aktivierenden Maßnahmen tagsüber.
  4. Eine medikamentöse Delirprophylaxe sollte NICHT durchgeführt werden!
  5. Vor Beginn der antideliranten Therapie ist es sinnvoll, sich über andere potenziell lebensbedrohliche Ursachen für den akuten Verwirrtheitszustand Gedanken zu machen und diese ggf. auszuschließen oder zu therapieren.
  6. (Zu tiefe Sedierung) auf der Intensivstation führt zu mehr Delir, PTBS, höherer Mortalität und längerem ICU- und Krankenhausaufenthalt, daher sollte die Indikation zur Sedierung möglichst eng gestellt und regelmäßig kritisch reevaluiert werden.
  7. Eine Fixierung ist KEINE Delirbehandlung! Sie sollte nur, wenn zum Eigenschutz/ Fremdschutz zwingend erforderlich und dann unter Beachtung der rechtlichen Rahmenbedingungen durchgeführt werden.
  8. Bei Patient:innen ohne psychotische Symptome sollte zur Delirtherapie bevorzugt Pipamperon zur Nacht und Melperon tagsüber eingesetzt werden, bei produktiv psychotischen Symptomen sind z. B. Risperidon und Haloperidol eine gute Wahl.
  9. Psychopharmaka können zur QTc-Zeit-Verlängerung führen, sodass diese regelmäßig kontrolliert werden muss!
  10. Delir ist interessant und wahnsinnig spannend, wenn man anfängt sich damit zu beschäftigen 😉

Quellen

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https://register.awmf.org/assets/guidelines/001-012l_S3_Analgesie-Sedierung-Delirmanagement-in-der-Intensivmedizin-DAS_2021-08.pdf


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