Die maligne Hyperthermie

Bei jedem Prämedikationsgespräch (insbesondere bei Kindern und bisher „narkose-naiven“ Patient*innen) fragen wir nach Muskelerkrankungen in der Familien- und Eigenanamnese. 
Woher kommt diese plötzliche Obsession der Anästhesist*innen mit dem Bewegungsapparat? Normalerweise interessieren uns doch nur die Atemwege? 
Diese Frage spielt natürlich auf die größte Angst des Anästhesisten ™ an, die ureigenste Nemesis, der anästhesiologische Super-GAU: die maligne Hyperthermie. (DUNDUNDUUUUUN) 

Wir fangen aber vorne an: was ist das überhaupt, maligne Hyperthermie und warum haben alle so eine riesige Angst vor ihr? 

Angst des Anästhesisten vor der MH – Beispielbild

Epidemiologie

So selten, wie einem in Studium und Ausbildung suggeriert wird, tritt die MH (maligne Hyperthermie) gar nicht auf. Tatsächlich hat einer von 2000-3000 Menschen in vielen Abschnitten der Welt die genetische Veranlagung dafür und die findet sich komplett unabhängig von Alter oder Geschlecht [1]. Das Auftreten von spezifischen Symptomen perioperativ ist mit 1:5000 – 1:100.000 beschrieben, bei Kindern häufiger, bei Erwachsenen seltener (Median bei 18J) [3]. Die höchste Inzidenz scheint es in der Manuwata Region von Neuseeland zu geben wo sie 1:200 zu betragen scheint [25]. Die Anzahl der lebensbedrohlichen MH-Krisen ist dagegen schon deutlich geringer mit 1:10.000 – 1: 250.000 [4]. Bei der klinischen Manifestation sind Männer häufiger betroffen als Frauen (im Verhältnis 2:1) [25] . 


Die MH ist keine allergische Reaktion! Selbst bei mehrfacher vorangegangener Exposition mit Triggersubstanzen kann eine MH noch erstmals auftreten! 

Physiologie & Pathophysiologie

Was genau passiert denn nun bei dieser gruseligen MH? 

Grob gesagt bedeutet es, dass sich bei Patient*innen, getriggert durch manche Medikamente, die (fast) ausschließlich in Narkose verwendet werden, der Stoffwechsel überschlägt. Viel Stoffwechsel bedeutet auch viel Wärmeproduktion (wie wir aus anderen Lebenslagen wissen)

Das Grundproblem einer MH ist Calcium und zwar VIEL zu VIEL Calcium, aber um zu verstehen, was dabei genau passiert, müssen wir tief in die Zellphysiologie eintauchen. 

Nach dem wir entschieden haben, dass wir z. B. unseren Arm heben möchten, kommt es nach einer Reihe von neuronalen Verschaltungen zur neuromuskulären Übertragung des Reizes und zu einer Depolarisation der Zellmembran unserer Skelettmuskelzelle. Diese Erregung setzt sich bis zum T-Tubus (transversalen Tubulus) fort. Hier wird das Signal vom „Spannungs-Sensor“ (Dihydropyridinrezeptor) erkannt und an den Ryanodinrezeptor übertragen. Der Ryanodinrezeptor ist (vereinfacht gesagt) ein Calcium-Kanal im Sarkoplasmatischen Retikulum (SR), dem „Calciumspeicher“ unserer Skelettmuskelzellen. Über den Ryanodinrezeptor entsteht ein Calciumstrom in das Myoplasma und somit zu kommt es zu einem Anstieg des myoplasmatischen Calciumspiegels. Das Calcium führt schlussendlich über die Interaktion mit Aktin und Myosin zu einer Muskelkontraktion. Zeitgleich pumpt eine Calcium-ATPase das Calicum wieder aus dem Myoplasma ins SR. Dadurch wird nach Beendigung des Calciumeinstroms auch die Kontraktion des Muskel beendet [5; 8].

Bei der MH liegt eine Mutation in dieser Signalkaskade vor. In ca. 50 % liegt eine Mutation des Ryanodinrezeptors vor. Bei weniger als 1 % der Betroffenen liegt eine Mutation des Dihydropyridinrezeptors vor. In den übrigen Fällen konnte bisher keine zugrundeliegende Mutation identifiziert werden [7]. Bei Patient*innen mit der besagten Mutation führt nun der Kontakt mit den sogenannten Triggersubstanzen (kommen wir später noch dazu) zu einer vollkommen ungebremsten Ausschüttung von Calciumionen ins Zellplasma. Das kostet aus zwei Gründen wahnsinnig viel ATP, zum einen die Muskelkontraktion selbst, zum anderen das „Zurückpumpen“  des Calciums zurück ins sarkoplasmatische Retikulum. Die Zelle arbeitet und arbeitet („ackert wie eine …..“), der Sauerstoff wird knapp und es kommt zum anaeroben Zellstoffwechsel via Glykolyse, was den Laktatspiegel stark ansteigen lässt. Am Ende führt dieser massive Energieverbrauch zum namensgebenden Symptom: Der Hyperthermie.

Schematische Darstellung der Prozesse bei der malignen Hyperthermie. Ein Aktionspotential wird entlang der Zellmembran in die T-Tubuli System geleitet. Hier kommt es zur Aktivierung eines Komplex aus DHP-Rezeptor und Ryanodin-Rezeptor. Kalzium wird aus dem sarkoplasmatischen Retikulum freigesetzt. In der Folge kommt es zur Aktivierung von Stoffwechselprozessen (Atmungskette und Glycolyse) und zur Kontraktion. Bei der Malignen Hyperthermie besteht eine exzessiv gesteigerte Kalziumfreisetzung. Modifiziert nach Frank Lehmann-Horn, Werner Klingler, Karin Jurkat-Rott; Nonanesthetic Malignant Hyperthermia. Anesthesiology 2011; 115:915–917 doi: https://doi.org/10.1097/ALN.0b013e318232008f

MH-Risiko bei Muskelerkrankungen

Bei jeder Myopathie von einem erhöhten MH-Risko auszugehen ist unnötig und in gewisser Hinsicht auch gefährlich, da Propofol ebenfalls negative Folgen haben kann (z. B. bei mitochondrialen Myopathien). Allerdings haben Muskelerkrankungen mit Mutationen des Ryanodin bzw. Dihydropyridin-Rezeptors durchaus ein erhöhtes Risiko für eine MH. 

Folgende Mypopathien haben ein erhöhtes Risiko für eine MH:

  • Central Core Disease (CCD) 
  • Multi­minicore Disease (MMD) 
  • King Denborough Syndrom 
  • Nemaline Myopathy (auch Rod­myopathy)
  • Hypokaliäme periodische Paralyse 

Bei diesen Myopathien sollte auf Triggersubstanzen verzichtet werden [11; 19].

Klinik

Klinisch zeigt sich das ganze als starke Muskelkontraktionen, oft beginnend mit einem Masseterkrampf,  einer nicht anderweitig erklärten Tachykardie und einem massiven Anstieg des endexspiratorischen CO2 (diag. Grenze 60mmHg). 

Spannenderweise wird die Muskulatur über die gestörte Kaskade direkt stimuliert, so dass ein erhöhter Muskeltonus auch bei neuromuskulärer Auftritt, da trotzdem einzelne neuromuskuläre Reize übergeleitet werden und der Teufelskreis in Gang kommt.

Die Tachykardie und der Anstieg des endexspiratorischen CO2 entstehen aufgrund des massiven Energieverbrauchs.

Die Hyperthermie wird in den Lehrbüchern häufig als „Spätsymptom“ beschrieben. Dies ist historisch gesehen (also vor Einführung der kontinuierlichen Messung von CO2 und O2) sicherlich korrekt. In Zeiten von „modernen“ Narkosegeräten mit kontinuierlichen Messverfahren, neigen wir dazu die Verschiebung der Atemgase mittels frühzeitiger Anpassung der Beatmungseinstellung (Erhöhung des MV bzw. der O2-Zufuhr) zu „therapieren“. Außerdem gehen wir nur noch selten so weit, dass wir uns bei all dem Monitoring unseren Patienten anschauen ;), so dass weitere frühe Symptome wie HautrötungSchwitzen oder erhöhter Muskeltonus (Rigor) übersehen werden. Daher kann die Hyperthermie mittlerweile durchaus das erste Symptom sein (vorausgesetzt man misst die Temperatur) [9; 10].

Durch den vermehrten Stoffwechsel fällt die O2-Konzentration im Muskel ab. Dies führt in letzter Konsequenz zu Zelluntergang und Muskelzerfall und dann zur Rhabdomyolyse. Durch Nekrose, Laktat, entsteht zusätzlich zur respiratorischen Azidose aufgrund der Hyperkapnie, eine metabolische Azidose. Die ganze Geschichte trägt natürlich schwere Organschäden, wie Herzrhythmusstörungen bis Herz-Kreislauf-Stillstand, akutes Nierenversagen, Krampfanfälle oder Verbrauchskoagulopathien nach sich und ist am Ende u. U. tödlich [4]. 

Jetzt ist es noch wichtig, die drei Verlaufsformen der MH zu unterscheiden: 

  • Die abortive MH 

Das Chamäleon unter den MHen mit langsamem Beginn, fällt oft erst Stunden nach Ende der OP auf. Wird gerne mit Sepsis oder malignem neuroleptischem Syndrom verwechselt, man findet auch nicht unbedingt einen CO2-Anstieg. Die abortive Form kann aber jederzeit zu einem fulminanten Verlauf exazerbieren. 

  • Die moderate MH 

Moderate Ausprägung der bekannten Symptome, nicht lebensbedrohlich, kann aber ebenfalls exazerbieren. 

  • Die fulminante MH-Krise 

Muscular meltdown! siehe oben

Labor

Auch laborchemisch imponieren bei der MH Zeichen des Hypermetabolismus und im Verlauf der Rhabdomyolyse.

BGA

  • Schwere kombinierte respiratorische und metabolische Azidose  
  • niedriger Base Excess
  • hoher Laktatspiegels 
  • Hyperkapnie (je nach Einstellung der Beatmungsparameter)
  • Hypoxämie (bzw. hoher O2-Verbrauch)
  • Hyperkaliämie

Klinische Chemie & Gerinnung im Verlauf 

  • Zeichen der Rhabdomyolyse
    • Massiv erhöhte CK
    • Massiv erhöhtes Myoglobin
    • Myoglobinurie
  • Ggf. Zeichen einer DIC

Triggersubstanzen

So weit so ungut, aber welche Substanzen führen denn nun zu diesem muskulären Mayhem? 
Beschrieben sind bisher nur zwei Substanzklassen: depolarisierende Muskelrelaxantien (hier muss man eigentlich nur Succinylcholin nennen, sonst ist am Menschen keines zugelassen), und volatile Anästhetika aus halogenisierten Kohlenwasserstoffen (Halothan, Enfluran, Isofluran, Desfluran, Sevofluran). Wie genau diese Medikamente den Ryanodinrezeptor so aus der Fassung bringen, ist noch nicht erforscht [4; 11]. Aufgrund des zunehmenden Einsatzes von Sevofluran und Isofluran in der Intensivmedizin (Anaconda) ist eine MH Krise nicht nur im OP möglich.

In vitro ist Koffein ebenfalls eine Triggersubstanz, die allerdings in vivo scheinbar keine Krisen auslöst.

In wenigen Einzelfällen wurden auch Drogenkonsum und schwere psychischen Belastungssituationen als Auslöser beschrieben [21].

Differentialdiagnosen

Augrund der Seltenheit einer MH müssen wir andere Ursachen für eine MH auf dem Schirm haben, zum einen weil häufiges eben häufig ist und zum anderen weil sich die meist leichter „beheben“ lassen. Die nachfolgende Liste erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit.

Anstieg des etCO2

  • Kapnoperitoneum
    • Weichteilemphysem bei „fehlerhaftem“ Kapnoperitoneum
  • Insuffiziente Beatmungseinstellung
  • Fieber
  • Applikation Natriumbikarbonat
  • Inadäquate Narkosetiefe
  • Gerätedefekt
  • Rückatmung
    • Verbrauchter Atemkalk?

Tachykardie

  • Inadäquate Narkosetiefe
  • Volumenmangel
  • Anaphylaxie
  • Sepsis
  • Thyreotoxische Krise
    • Hals-/Schilddrüsen-Chirurgie
  • Phäochromozytom
  • Intoxikation
  • Serotoninerges Sydrom
  • Malignes Neuroleptisches Syndrom
  • Anticholinerges Syndrom
  • Fieber

Hyperthermie

  • Wämestau
  • Sepsis/Infektion
  • Anticholinerges Syndrom
  • Serotoninerges Sydrom
  • Malignes Neuroleptisches Syndrom
  • Thyreotoxische Krise
    • Hals-/Schilddrüsen-Chirurgie
  • Malignes L-Dopa-Entzugssyndrom
  • Porphyrie
  • Addison-Krise

Analgetika induzierte Rhabdomyolyse (AIR)

Eine Abgrenzung der MH zur AIR ist ebenfalls wichtig, da es sich um einen anderen Pathomechanismus und eine andere Therapie handelt.

Bei der AIR ist das Sarkolemm „brüchig“, so dass eine primäre Destruktion des Sarkolemms auftritt. (Bei der MH ist die Destruktion Folge des Hypermetabolismus). Durch die Destruktion kommt es zur Freisetzung von Zellschrott (Kalium, CK u.v.m.). 

Bei der AIR ist unser Hauptproblem die zügige Therapie des anfallenden Zellschrotts (vor allem Kalium) und der damit verbundenen Herzrhythmusstörungen. Fieber, Hyperkapnie und Tachykardie werden zwar beschrieben, sind aber eher untergeordnete Symptome [11; 20].

Prämedikation 

Hier ist es, wie eingangs schon erwähnt, natürlich wichtig eine Prädisposition schon zu erfragen. Da die MH autosomal dominant vererbt wird, lohnt es sich, zu fragen, ob im Familienkreis schonmal jemand so etwas hatte. 
Da neuromuskuläre Erkrankungen, wie oben erwähnt, für eine MH prädisponieren können, müssen solche Erkrankungen vermerkt werden. Unter Umständen kann es möglich sein, präoperativ eine Muskelbiopsie zu entnehmen und diese mit einer Substanz zu triggern, um nicht via „Trial-and-Error“ die MH entdecken zu müssen. Das wird aber nicht oft gemacht, da es inzwischen leichter ist, einfach eine triggerfreie Narkose zu machen. 

Hier ist aber einer der wenigen Fälle, in denen eine Prämedikation mit Anxiolytika sinnvoll sein kann, da Stress die MH zusätzlich triggern kann. 

Intraoperativ 

MH Disposition bekannt

Wenn die Art der Operation zulässt, ist natürlich die eleganteste Lösung, auf eine Vollnarkose zu verzichten und sich eines Regionalverfahrens zu bedienen. 

Bei Verdacht auf MH muss eigentlich kein anderes Monitoring anliegen als bei anderen Narkosen. EKG, RR, SpO2, etCO2 und natürlich eine (ordnungsgemäß platzierte) Temperatursonde sind das Wichtigste. Je nach Eingriff ist eine arterielle Kanüle für regelmäßige BGAs sinnvoll, ebenso wie die Anlage eines Blasenkatheters (im besten Fall natürlich Temperaturkatheters). 

Bevor der/die Patient*in an ein Beatmungsgerät angeschlossen wird, muss dieses von Triggern befreit sein. Das bedeutet, die Schläuche und Filter müssen gewechselt sein (denkt an die Gasprobenleitung und den Atemkalk!), das restliche Gas von der vorherigen Einleitung per Flush ausgewaschen werden (10 l/min für 10 Minuten) [4]. Sinnvoll ist hier natürlich auch im Saal einzuleiten, um gar nicht erst zwei Narkosegeräte benutzen zu müssen, auch sollte man solche Patient*innen natürlich an erster Stelle operieren. Außerdem sollte der Gasvapor komplett vom Gerät entfernt, um eine versehentliche Öffnung zu vermeiden und eine Leckage auszuschließen.

Bevor man den Patient*innen irgendwas verabreicht, sollte man sicherstellen, dass eine ausreichend große Menge Dantrolen in Reichweite steht, ebenso wie eine ausreichend große Menge Personal, um das Dantrolen aufzulösen. 

Ist alles vorbereitet, kann es losgehen. Natürlich wird eine sogenannte triggerfreie Narkose gefahren, das heißt, auf die genannten Triggersubstanzen wird komplett verzichtet. Zur Einleitung der Narkose kann quasi alles gegeben werden, außer Succinylcholin (dessen Indikation sowieso nur noch sehr vorsichtig gestellt werden sollte), zur Aufrechterhaltung bietet sich natürlich am ehesten eine TIVA an. 

Larynxmaske oder Tubus? Die Frage stellt sich vor jeder Narkose.  Streng genommen ist eine Nakrose mittels Larynxmaske, wenn sie triggerfrei gemacht wird kein Problem. Trotzdem folgende theoretische Überlegung dazu: ein Frühzeichen der MH ist der Trismus, dies kann die Beatmung mit einer Larynxmaske erheblich erschweren oder unmöglich machen. Da sich der Trismus (s.h. Pathophysiologie) nicht relaxieren lässt, kann eine Intubation schwierig werden.  Außerdem hat man, wenn es so weit kommt, alle Hände voll zu tun. Daher scheint eine Intubation, die sicherere Wahl zu sein. 

Während der Operation ist natürlich wichtig, sich die Alarmgrenzen eng einzustellen, insbesondere etCO2, HF und Temperatur. Dann kann die OP erstmal losgehen. 

Therapie 

Wenn ihr die (Verdachts-)Diagnose MH stellt heißt es schnell handeln [11; 1; 4; 6].

Trigger beenden

Wenn ihr nicht sowieso schon eine triggerfreie Narkose gefahren habt, solltet ihr spätestens jetzt das Gas ausdrehen (Gasvapor entfernen), die FiO2 auf 100 % und 10-18 l/min und spülen was das Zeug hält. Der Absorberkalk sollte ebenfalls entfernt werden, um ein die zufuhr von hier befindlichen Gasresten auszuschließen. Ein Ersatz des Absorberkalks ist in der Akutsituation nicht nötig, da das Narkosegerät mit einem so hohen Flow funktionell ein offenes Beatmungsgerät darstellt. Ein Wechsel des Beatmungsgeräts wird nicht (mehr) empfohlen, da es ineffektiv ist, lange dauert und ihr die Hände wo anders besser gebrauchen könnt. Vergesst nicht, dass der/die Patient*in jetzt anderweitig Narkose braucht, also z. B. einen Propofolperfusor (eine Beendigung der Narkose verbietet sich aufgrund der Erkrankung (Rigor) und der Therapie (Dantrolen)).

Dantrolen

Die einzige bekannte kausale Therapie der MH ist die Gabe von Dantrolen und spätestens hier braucht ihr Hilfe, das muss nämlich aufgelöst werden! Außerdem ist die Gabe ebenfalls zeitkritisch, da die Muskelrigidität die muskuläre Perfusion herabsetzt.  Die verminderte Durchblutung in der Skelettmuskulatur führt zu weniger Dantrolen am Wirkort. Die Therapie wirkt also umso besser je früher sie begonnen wird. 

Eine verzögerte Dantrolengabe erhöht die Rate der MH-assoziierten Komplikationen und kann zum Tode des Patienten führen [14].

Dosierung

Erstbolus: Dantrolen 2,5 mg/kgKG max. 300 mg 

Mindestens alle 10 Minuten muss das Prozedere wiederholt werden, eine Maximalgrenze gibt es nicht, es wird so lange Dantrolen gegeben, bis unter Normoventilation (!) der paCO2 in der arteriellen BGA unter 45 mmHg fällt. Passiert das bei mehr als 10 – 20 mg/kgKG nicht, ist es wahrscheinlich keine MH und die Differentialdiagnosen müssen überdacht werden.

Wirkmechnismus

Dantrolen blockiert den RYR (Ryanodin-Rezeptor) und somit die unkontrollierte Freisetzung von Calcium in das Myoplasma. Die Calciumwiederaufnahme ins SR wird durch das Dantrolen nicht gesteigert. 

Aufgrund der durch das Dantrolen verminderten Calciumkonzentration im Myoplasma kommt es für 5-8 h zu einer Muskelschwäche kommen. Diese macht in der Regel allerdings keine Beatmungstherapie nötig.

Klinische Wirkdauer

5-8h

Bevorratung und Vorbereitung

Dantrolen hat (wenn ihr es nicht aufgrund einer Prädisposition sowieso schon im Saal stehen habt) einen fest definierten Standort im OP, der auch mit einem roten Schild markiert sein muss (sollte). Meistens in der Nähe des Rea-Wagens und Defis. 

Das Dantrolen wird in 60ml Aqua gelöst (man muss furchtbar viel schütteln) und dann mit einer Filterkanüle (beiliegend) aufgezogen. Eine Dantrolen Ampulle enthält lediglich 20 mg Wirkstoff.

Rechenbeispiel: Angenommen unser Patient wiegt 80kg und wir verabreichen 2,5 mg/kgKG dann macht das 200 mg. Bei 20 mg Ampullen entspricht das 10 Ampullen, die aufgelöst werden müssen. Und das ist nur die Erstdosis. Aus diesem Grund wird bei der MH jede Hand gebraucht. 

Applikation

Bei der Dantrolengabe müsst ihr sicher sein, dass der Zugang intravasal liegt! Das Zeug hat einen pH von 9,5 und macht somit fürchterliche Gewebsnekrosen. Am besten über einen ZVK geben, allerdings sollte eine ZVK-Anlage die Therapie niemals verzögern (s. o.). Im Zweifel ist eine Gewebsnekrose besser als ein Kreislaufstillstand [4].

Besondere Patientengruppen

Es gibt natürlich keine großen randomisierten Studien zur Sicherheit bei Schwangeren und Kindern, allerdings scheint die Gabe im Rahmen der Indikation MH sicher zu sein [15]. 

Besonderheiten

Dantrolen enthält in der aktuellen Darreichungsform 3 g Mannitol pro Ampulle. Bei mindestens 10 (= 30 g) bis zum Teil 40 (= 120 g) oder mehr Ampullen Dantrolen ist dies eine relevante Menge! Zum Vergleich: die empfohlene Dosis zur Hirndrucksenkung bei intakter Blut-Hirnschranke entspricht 1,5-2 g/kgKG. Entspricht 120 – 160 g bei 80 kg Körpergewicht [16; 17]

Kontraindikationen

Die Gabe von Ca-Antagonisten ist in Kombination mit Dantrolen absolut kontraindiziert, das führt zu Fehlfunktionen der Herzmuskelzellen (die von der MH gar nicht betroffen sind).

Symptomatische Therapie

Parallel zur kausalen Therapie (Dantrolen) müssen die Symptome und Folgen der MH therapiert werden um einen möglichst geringen Schaden den/die Betroffene*n zu erreichen. Gerade in der Akutphase seid ihr einem hohen Workload ausgesetzt, so dass CRM das entscheidene „non-technical-skill“ ist („Sei ein guter Leader, sei aber auch ein gutes Teammitglied“).

Operation

  • unverzügliche Kommunikation mit der schneidenden Zunft (noch vor der sicheren Diagnosestellung)
  • Nicht begonnene OPs verschieben
  • Begonnene OPs ziemlich zügig beenden

Ventilation

  • Atemminutenvolumen auf das drei bis vierfache steigern, zur Senkung des CO2
  • Oauf Volllast (10 – 18 l/min) „das muss das Boot abkönnen“

Metabolische Azidose

  • Puffern
    • TRIS-Puffer sind aus unserer Sicht zu bevorzugen, da bei der angespannten Beatmungssituation kein zusätzliches CO2 anfällt

Hyperthermie

  • Ziel: < 38,5 °C
  • Oberflächenkühlung (WarmTouch oder ähnliches)
  • 2000 ml – 3000 ml kalte (4 °C) VEL
  • Ggf. Kühlkatheter
  • bei eröffnetem Abdomen kalte Spülung des Peritoneums

Erweitertes Monitoring

  • ZVK
  • „Arterie“
  • DK + Bilanzierung
  • kontinuierliche Temperaturmessung
  • intensivmedizinische Überwachung für mindestens 24h
  • engmaschige Labor und (arterielle) BGA-Kontrollen
    • CK
    • Laktat
    • Elektrolyte
    • Kreatinin
    • LDH
    • Transaminasen

Die Symptome können auch Stunden nach der Triggerexposition noch wiederkommen und müssen adäquat erkannt und behandelt werden. Bei 20 % der Patienten traten in einem Mittel von 13h erneut Symptome auf [6; 11; 12; 13]. 

Prävention des akuten Nierenversagens

Aufgrund der Rhabdomyolyse besteht die akute Gefahr einer Crush-Niere

  • DK-Anlage (wenn nicht schon erfolgt)
  • Forcierte Diurese
    • Ziel: 1 –  eher 2 ml Urin pro kgKG Stunde
    • Volumen ggf. unterstützt von Schleifendiuretika (Furosemid)
      • Bedenke: Mannitol im Dantrolen

Ja, dies ist einer der wenigen Momente in denen Gas und Bremse gleichzeitig Sinn machen könnten.

Hyperkaliämie

siehe Akutmanagement Hyperkaliämie

DIC

  • Low-Dose Heparinisierung
    • CAVE: Nierenfunktion -> zunächst unfraktioniertes Heparin

Kreislaufstabilisierung

  • Volumen
  • Katecholamine (a.e. Noradrenalin)

Herzrhythmusstörungen

  • Amiodaron ist in diesem Fall das Mittel der Wahl
  • Betablocker (Esmolol, Metoprolol) bei persistierender Tachykardie 
Unser Flowchart für die ersten Schritte der MH Therapie

Patienten mit MH-Disposition ohne Symptome

Patienten mit bekannter Prädisposition, die triggerfrei narkotisiert wurden und bei denen intraoperativ keine Symptome aufgetreten sind, sollten postoperativ 2,5 h im Aufwachraum bleiben, bevor sie in die „Peripherie“ verlegt oder (nach ambulanten Eingriffen) nach Hause entlassen werden können [18].

Diagnosestellung

Die Diagnose der MH sollte nach aufgetretener Symptomatik im Verlauf an einem Zentrum mittels Muskelbiopsie festgemacht werden. So kann nicht nur durch Ausstellen eines Anästhesieausweises die nächste Narkose triggerfrei erfolgen, sondern auch Blutsverwandte gewarnt werden, bei möglichen Prämedikationsgesprächen die belastete Familienanamnese anzugeben. 

Prinzipiell stehen zwei Testverfahren zur Verfügung [11]. 

In-vitro-Muskelkontraktur-Test

In einem MH-Test-Zentrum wird eine vitale Muskelbiopsie entnommen (z. B. Musculus Quadriceps). Diese Biopsie wird im Labor unter Elektrostimulation Triggersubstanzen ausgesetzt (Halothan und Koffein). Wenn die Biopsie mit einer pathologischen Kontraktion reagiert ist eine MH bestätigt. Kommt es unter keiner der beiden Substanzen zu einer Kontraktion ist eine MH ausgeschlossen.

Nachteil ist die Invasivität und der Zeitaufwand des Verfahrens.

Molekulargenetische Testung

Dieses Verfahren hat einen offensichtlichen Vorteil:  Es muss lediglich eine Blutprobe in ein molekulargenetisches Labor. Aufgrund der vielen unbekannten Mutationen kann über dieses Verfahren eine MH leider nur bestätigt werden und niemals ausschließen. 

Ein negatives molekulargenetisches Testergebnis schließt eine MH nicht aus!

Ausblick

Ryanodex

2014 hat die FDA mit Ryanodex eine Dantrolen-Präparation mit 250 mg pro Ampulle zugelassen, welche zusätzlich deutlich besser in lediglich 5ml Aqua lösbar sein soll. Eine Zulassung in Deutschland steht noch aus [22]. 

Aktivkohlefilter

Es gibt zugelassene Aktivkohlefilter, die noch im Kreisteil befindliche Triggersubstanzen rasch entfernen soll. Dafür werden die Filter an den Exspirations- und Inspirationsschenkel des Narkosegerätes angeschlossen. In wie fern sich hieraus ein Mortalitätsvorteil gegenüber einer einfachen Erhöhung des Frischgasflusses ergeben bleibt allerdings unklar [11; 23; 24].

Beispielbild

Punchlines

  • Die MH ist unbehandelt eine tödliche Erkrankung
  • Symptome
    • Hyperthermie
    • Rigor (Masseterspasmus)
    • CO2-Anstieg
    • Tachykardie
    • Mögliche Trigger sind:
    • halogenisierte Kohlenwasserstoffe
      • Sevofluran
      • Isofluran
      • Desfluran
      • Succinylcholin
  • Bei Verdacht Triggersubstanz sofort beenden
  • kausale Therapie:
    • Dantrolengabe (2,5 mg/kgKG).

Autoren

Jana

Dr. med. Thorben Doll

Arzt in Weiterbildung Anästhesiologie, aktiver Notarzt, lernte die Notfallmedizin von der Pike auf kennen, präklinische Erfahrung 18 Jahre und Gründer der Pin-Up-Docs.de

Johannes Pott

Arzt in Weiterbildung Anästhesiologie, aktiver Notarzt, Lieblingsbaustelle ist die Intensivstation. Seit 16 Jahren im Rettungsdienst und Gründer von Pin-Up-Docs.de

Quellen

[1] Frank Lehmann-Horn, Werner Klingler, Karin Jurkat-Rott: Nonanesthetic Malignant Hyperthermia. In: Anesthesiology: The Journal of the American Society of Anesthesiologists. Band 115, Nr. 5, 1. November 2011, ISSN 0003-3022, S. 915–917

[2] S. Wolak, B., Rücker, N. Kohlschmidt, S. Doetsch, O. Bartsch, U. Zechner, Irene Tzanova: Homozygous and compound heterozygous RYRI mutations. New findings on prevalence and penetrance of malignant hyperthermia. In: Anaesthesist. Band 63, 2014, S. 643–650

[3] https://flexikon.doccheck.com/de/Maligne_Hyperthermie

[4] Deutsche Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin: S1-Leitlinie: Therapie der malignen Hyperthermie.2018

[5] Schmidt, Lang (Hrsg.): Physiologie des Menschen: Mit Pathophysiologie. 30. Auflage. Springer, Berlin 2007, ISBN 978-3-540-32908-4, S. 115–121

[6] https://www.ai-online.info/images/ai-ausgabe/2015/06-2015/orphan-supplement-10-2015/2015_6_S503-S511_Supplement%20Nr.%2010%20-%202015%20-%20Malignant%20hyperthermia.pdf

[7] Stowell KM: DNA testing for malignant hyperthermia: the reality and the dream. Anesth Analg 2014;118:397–406 

[8] Treves S, Anderson AA, Ducreux S, Divet A, Bleunven C, Grasso C, et al: Ryanodine receptor 1 mutations, dys- regulation of calcium homeostasis and neuromuscular disorders. Neuromuscul Disord 2005;15:577–587

[9] Riazi S, Larach MG, Hu C, Wijeysundera D, Massey C, Kraeva N: Malignant hyperthermia in Canada: characteristics of index anesthetics in 129 malignant hyperthermia susceptible probands. Anesth Analg 2014;118:381–387 

[10] Larach MG, Brandom B, Allen GC, Gronert GA, Lehman EB: Malignant Hyperthermia Deaths Related to Inadequate Temperature Monitoring, 2007–2012. Anesth Analg 2014;119:1359–1366 

[11] Girard T, Bandschapp O: Maligne Hyperthermie. Anästh Intensivmed 2019;60:135–143. DOI: 10.19224/ai2019.135 

[12] Glahn KPE, Ellis FR, Halsall PJ, Müller CR, Snoeck MM, Urwyler A, et al: Recognizing and managing a malignant hyperthermia crisis: guidelines from the European Malignant Hyperthermia Group. Br J Anaesth 2010;105:417–420 20. Reber A, Schumacher P, Urwyler 

[13] Effects of three different types of management on the elimination kinetics of volatile anaesthetics. Implications
for malignant hyperthermia treatment. Anaesthesia 1993;48:862–865 

[14] Roewer N, Anetseder M (2000) Cardiovascular alterations. In: Schulte am Esch JS, Scholz J, Wappler F (Hrsg) Malignant hyperthermia. Pabst Science, Lengerich, S 134–141

[15] Shime J, Gare D, Andrews J, Britt B (1988) Dantrolene in pregnancy: lack of adverse effects on the fetus and newborn infant. Am J Obstet Gynecol 159:831–834

[16] Fachinformation Braun Osmofundin 15% N Infusionslösung Stand 07/2015

[17] GEBRAUCHSINFORMATION und FACHINFORMATION Norgine Dantrolen i.v. Stand 06/2016

[18] Barnes C, Stowell KM, Bulger T, Langton E, Pollock N: Safe duration of postoperative monitoring for malignant hyperthermia patients administered non-triggering anaesthesia: an update. Anaesth Intensive Care 2015;43:98–104. 

[19] Davis PJ, Brandom B: The associa- tion of malignant hyperthermia and unusual disease: when you’re hot you’re hot or maybe not. Anesth Analg 2009;109:1001–1003 

[20] Gray RM: Anesthesia-induced rhabdo- myolysis or malignant hyperthermia: is defining the crisis important? Paediatr Anaesth 2017;27:490–493 

[21] Rüffert H, Wehner M, Deutrich C, Olthoff D: Maligne Hyperthemie. Anaesthesist. 2007 Sep;56(9):923-9. PMID 17565473

[22] Just KS, Gerbershagen MU, Grensemann J, Wappler F (2015) Do we foresee new emerging drugs to treat malignant hyperthermia? Expert Opin Emerg Drugs 4:1–4

[23] Reber A, Schumacher P, Urwyler A: Effects of three different types of management on the elimination kinetics of volatile anaesthetics. Implications for malignant hyperthermia treatment. Anaesthesia 1993;48:862–865 

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